Brann 01 - Seelentrinkerin
fort, dachte sie, verspürte eine gewisse Erleichterung. Es fiel leichter, an Slya zu denken als an ... Ihre Beschwerden mußten weggetanzt, sie mußte wieder in den Schlaf versetzt werden. Ja. Ja. Darum geht es. Slya hat dies geträumt und ihre Kinder gesandt. Brann wandte den Kopf, öffnete die Augen, nachdem sie sie vom Tal abgekehrt hatte, schaute Yaril und Jaril an. Sie sind wirklich des Bergs Kinder. Slya hat sie geschickt. Brann ballte die Hände zu Fäusten, doch das Zittern wollte nicht nachlassen, sie drehte mit einem Ruck von neuem den Kopf, richtete den Blick wieder hinab ins Tal. Kaum etwas zu erkennen ... Muß näher. Abseits der Straße. Zum Harragssprung. Ja. Am besten dorthin. Wo die Berge das Tal zu einem schmalen Einschnitt verengten, erhob sich eine senkrechte Steilwand aus Granit, von den Bewohnern Arth Slyas nach jenem Schmied, der vor ein paar hundert Jahren verrückt geworden war, fliegen zu können schwor und — um es zu beweisen - die Felswand hinabsprang, Harragssprung genannt. Brann eilte zurück zwischen die Bäume, rannte so schnell wie es möglich war, ohne zu fallen. Es wäre schlecht, sich hier oben ein Bein zu brechen. Wer würde hier jemals nach ihr suchen? Zuletzt warf sie sich, während sie mit langen gierigen Keuchlauten Luft schnappte, droben an der Felskante der Länge nach hin und lugte über den Rand.
Sie befand sich nahe genug, um die Gesichter der Menschen zu erkennen, die sich auf dem Tanzplatz drängten, um zu hören, was man sprach; aber ließ man einige Befehle der Krieger außer acht, sagte kaum jemand etwas. Die Einwohner des Dorfs wirkten genauso verwirrt, wie sich Brann fühlte. Warum geschah so etwas? Wer könnte etwas dadurch gewinnen, daß er Arth Slya belästigte? Branns Mutter war auch dabei, hatte Ruan auf dem Arm, sah zornig und furchtsam aus. »Mama«, flüsterte Brann. Mit einem Mal wollte sie um jeden Preis bei ihrer Mutter sein, vermochte es nicht zu ertragen, den Ereignissen bloß von oben zuzuschauen, es verlangte sie danach, drunten bei ihren Onkeln, Vettern und Tanten — wenn nicht Bluts-, so doch Herzensverwandte — zu weilen. Sie schluchzte, raffte sich auf, aber zwei Paar Hände hielten sie zurück.
»Du kannst nichts für sie tun, wenn man dich ergreift.« Eines der beiden Kinder sprach zu ihr, aber welches, das hätte sie nicht zu sagen gewußt. »Bedenke, Brombeer, deine Mutter ist wahrscheinlich darüber sehr froh, daß du dich am Berg aufhältst, sie weiß dich in Sicherheit. Schau hin, Brombeerchen, schau genau hin! Wo sind die Kinder? Siehst du Gingy oder Shara? Siehst du — mit der Ausnahme Klein Ruans auf deiner Mutter Arm — irgendein anderes Kind deines Alters oder gar ein jüngeres Kindlein?«
Ein Schaudern durchfuhr Brann, sie erschlaffte. Die beiden ließen sie los, und sie musterte die auf dem Platz zusammengetriebenen Menschen. Gunna, Barr, Amyra, Caith und ein Dutzend andere Jugendliche befanden sich unter ihnen, doch sie waren alle fünfzehn oder älter, hatten ihre Berufung längst hinter sich; die Jüngeren fehlten, ausgenommen Ruan. Und noch während Brann das Geschehen beobachtete, bahnte sich einer der hochgewachsenen schwarzhaarigen Eindringlinge eine Gasse zu ihrer Mutter, entriß ihr Ruan, trat ihr die Füße weg, als sie versuchte, ihm ihren Säugling zu entwinden, schob sich mit Stößen und Hieben aus dem Gedränge, brachte mit der stachligen Rückseite seines Panzerhandschuhs ringsum Blut zum Fließen.
Und vor Branns Augen, während Yaril und Jaril dicht neben ihr kauerten, sie festhielten, trug der Krieger Ruan zur Galaradeiche, faßte sie an den Fersen und schlug sie gegen den dicken Baumstamm, hob sie in die Höhe, schüttelte sie, schlug sie nochmals, diesmal fester gegen den Baum, dann schleuderte er sie auf einen Haufen von etwas, das Branns Aufmerksamkeit bisher entgangen war, nämlich der Leichen der Kinder des Tals.
Brann schlotterte. Sie bekam keinen Laut heraus, vermochte nicht zu weinen, sie war zu überhaupt nichts fähig, empfand nicht einmal Wut. Sie war vollständig benommen. Fortgesetzt suchte sie nach bekannten Gesichtern. Die Alten fehlten in der Menschenmenge genauso wie die Kinder. Alle Jungen und Starken waren da, etliche hatten Verbände an Armen oder Beinen, Frauen ebenso wie Männer; ein, zwei hockten mit auf die Knie gesenkten Köpfen auf dem Felsboden. Doch keiner von den Alten war dabei. Yongala Cerdan fehlte. Uronkel Gemar, der Branns Zeichenblöcke machte, war nicht da. Eornis,
Weitere Kostenlose Bücher