Brann 01 - Seelentrinkerin
und das Betragen der Kinder trug ihr widerwillige Achtung ein, sie wirkte wohl wie jemand, der über ein gefährliches Maß an Macht gebieten mochte, wie sonderbar sie auch aussah. Selbst diese Sonderbarkeit hatte ihre Vorzüge, unterschied sie vom Durchschnitt auf sich gestellter Frauen.
Sobald sie an dem Tisch saß, den Rücken zur Wand, fühlte sie sich wohler, als hätte sie damit eine Art von Zuhause erworben. Und als die Kinder ihr kaltes Brathuhn und warme, mit zerlaufenem Käse gefüllte Semmeln brachten, dazu einen Henkelkrug erwärmten gewürzten Weins, machte sie sich mit dem vom langen Ritt geförderten Appetit ans Essen. Die Kinder knieten sich währenddessen neben sie, blieben den übrigen Anwesenden in der Gaststube verborgen. Als ein Großteil des Weins eine warme Last in ihrem Bauch abgab, der ärgste Hunger gestillt war, schaute sie hinunter zu Jaril. »Ist mit Coier alles klar?«
Jaril nickte. »Guter Stall. Sauberes, frisches Stroh in den Ständen, kein Schimmel im Hafer.«
»Vorzüglich.« Brann setzte den Weinbecher ab. »Und was ist mit euch zweien, benötigt ihr auch etwas zu essen?«
Jaril schüttelte den Kopf, das feine Haar flog ihm ums spitze Gesicht wie ein Lichtkranz. »Nach dem üppigen letzten Mahl? Nein. Wahrscheinlich werden wir nichts brauchen, bis der Wunde Mond sich von neuem rundet.«
»Oh!«
Brann verzehrte den Rest der Mahlzeit, blieb geruhsam am Tisch sitzen, den Becher zwischen beiden Händen. Sie verspürte Beschwerden im Körper. Noch hatte sie sich nicht an die veränderte Verteilung des Fleisches auf den Knochen gewöhnt, obwohl sie ihr mit der Zeit zur Gewohnheit zu werden begann. Das bedeutete eine gewisse Hilfe, doch sie sorgte sich stets mehr hinsichtlich ihrer Befähigung, sich in dieser fremdartigen Welt außerhalb des Tals zurechtzufinden; auf ebenso klägliche wie gefahrvolle Weise mangelte es ihr an Kenntnissen über Dinge, an die die hiesigen Leute keinen zweiten Gedanken verschwendeten. Zum Beispiel bezüglich des Gelds, das Jaril hütete. Die einzige Münze, die Brann je in der Hand gehabt hatte, war jenes Bronzestück gewesen, das Marran als seinen Glücksbringer bezeichnet hatte. Allem Anschein nach wußten die Kinder, was sie taten, ihre Erfahrungen im Reisen waren anscheinend weit umfangreicher, als Brann es sich nachsagen konnte, aber es bereitete ihr Unbehagen, alles ihnen zu überlassen. In Arth Slya hielt man das Jungvolk innerhalb der Gemeinschaft zur Eigenständigkeit an. Der Nachwuchs mußte seine Fähigkeiten, Wünsche und Begabungen entdecken, um im Hinblick auf die Berufung die rechte Entscheidung fällen zu können, mochte sie nun eine Tätigkeit im heimatlichen Tal oder in der Fremde betreffen; die damit verbundenen Erkenntnisse und das Vermögen, danach zu handeln, waren für das Wohlergehen des Tals sogar noch wichtiger als die richtige Wahl eines Lebensgefährten. Selbst nach der Berufung, falls sich im Lauf der Zeit herausstellte, daß der jeweilige Jüngling oder das junge Weib unzufrieden war und ruhelos, ermutigte man sie dazu, woanders ihr Glück zu suchen; es wurden auswärtige Lehrstellen vermittelt, etwa in Grannsha — gewöhnlich anläßlich der Messe —, in Tavisteen oder andernorts in den Ebenen; junge Menschen verließen die Heimat, um Tänzer, alle Arten von Musikanten, Händler, Söldner oder Seeleute zu werden. Brann hatte Vettern in ganz Croaldhu, ja wahrscheinlich in der gesamten Welt, sie alle hatten jedoch Beistand und vermochten zu lernen, wie sie sich verhalten mußten, Menschen umgaben sie, die sie unterstützten, ihnen Mut zusprachen. Dank dieser Verfahrensweise war Arth Slya über tausend Jahre lang erblüht. Tausend Jahre lang. Kaum zu glauben, daß innerhalb einer so kurzen Frist, wie ein Tag sie bedeutete, diese Lebensart nahezu völlig geendet hatte. Brann trank Schlückchen des inzwischen lauwarmen Weins, bemerkte zum erstenmal die einzigartig ungewöhnliche Stille in der Gaststube. Anfangs meinte sie, daß sie die Urheberin sei, aber dann sah sie die drei Männer an der Schanktheke, sie lehnten rücklings an der Holzplatte, gefüllte Deckelkrüge in den Händen. Sie waren Temueng mit blasser nordländischer Haut in der Färbung fetter Sahne, trugen das glatte Haar nach hinten gekämmt und im Nacken verknotet, hatten hohe vorgewölbte Wangenknochen und länglich-schmale Augen, so schwarz wie die Blusen und Hosen, die sie am Leib hatten. Sie zeichneten sich durch eine herbe, forsche Säuberlichkeit aus,
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