Brann 01 - Seelentrinkerin
die Hand, um Yaril am Arm zu packen und sie von Branns Seite zu zerren.
Doch im nächsten Augenblick war es plötzlich kein zierliches kleines Mädchen mehr, nach dem der Temueng griff, sondern ein wieselartiges Tier in der Größe eines großen Hundes, das ihm nach der Gurgel schnappte, ihm die Kehle zerriß und zurücksprang, während es ihm die kraftvollen Hinterläufe gegen die Brust trat und dank dieses Sprungs von einem Großteil des einem Geysir gleichen Blutschwalls, der aus ihm hervorbrach, verschont blieb. Voller Abscheu verzog Brann das Gesicht zu einer Grimasse, tupfte sich mit dem Mundtuch, das der Wirt mit dem Abendessen hatte bringen lassen, Blutflecken vom Gesicht und von der Bluse.
Als der Temueng den Fußboden maß, war das Wiesel schon geschrumpft, zu einem dunklen, gedrungenen, gefährlich aussehenden Wesen geworden, das vor Brann auf dem Tisch hockte, sich mit einer langen roten Zunge Blutspritzer aus dem Pelz leckte. »Ich glaube«, sagte Brann ruhig, »es ist besser, du bewegst dich nicht.« Der Zensor saß nun starr und kerzengerade am Tisch, die Haut hatte einen grünlichen Farbton angenommen, er stierte weder das Tier noch Brann an, vielmehr die Schlange, die sich mit einem Mal neben ihr wiegte. Die beiden Vollstrecker am Eingang waren herumgefahren, als sie das schlagartig verstummte Aufschreien ihres Gefährten hörten, hatten einen Schritt in die Stube getan, aber ruckartig verharrt, als die Schlange zischte, das Wieselgeschöpf zur Abschreckung ein Aufheulen ausstieß. Die leisen Geräusche, die ein Schweigen zu durchdringen pflegten, ließen sich nun in der Stube vernehmen, die Laute, die man inmitten des üblichen Treibens und der Geschäftigkeit in einem Gasthaus nie hörte: Knacken von Holz, das Prasseln des heruntergebrannten Kaminfeuers, das heisere Atmen der Männer und das Zähneknirschen des Zensors, dazu das Summen einer Flirrfliege, die zuwenig Verstand besaß, um die Örtlichkeit zu meiden. »Zensor«, sagte Brann. In aller Eile hatte sie nachgedacht, sich an die Geschichten erinnert, die ihr der alte Ohm Eornis erzählt hatte, Geschichten von Helden, Ungeheuern und Unheilstifter. »Ich bin Seelentrinkerin«, erklärte sie, verlieh ihren Worten alle schwerwiegende Bedeutungsträchtigkeit, die sie ihnen einfließen zu lassen vermochte. »Schätze dich glücklich, o Mensch, daß ich zur Stunde keinen Durst verspüre. Schätze dich glücklich, Mensch, daß die Bergkinder keinen Hunger haben. Wäre es anders, du müßtest nun den Tod aller Tode sterben.« Sie kam sich dabei ein bißchen albern vor, doch allem Anschein nach nahm der Temueng sie vollauf ernst. »Ich begehre nicht mehr, als dies elendige Land in Frieden durchqueren zu dürfen. Laß mich in Ruhe, Temueng, und du wirst meinerseits unbehelligt bleiben, ich werde dir und deinesgleichen nichts antun.« Sie ließ das Schweigen währen, sich hinziehen, bis selbst der leiseste Ton das Gehör zu schmerzen schien. »Ich habe eine Schwäche, Zensor«, versicherte sie schließlich. »Ich erzürne mich allzurasch, Zensor. Du wirst dich versucht fühlen, für die erlittene Schmach den Einheimischen Buße aufzuerlegen. Aber solltest du das wagen, so werde ich überaus zornig sein, Zensor. In dem Fall werde ich dich aufspüren, Zensor, und dich bestrafen.« Damit ließ sie es bewenden und grinste ihn an, die Sache begann ihr Spaß zu machen. Aber genug war genug, sie stand auf, schob mit den Beinen den Stuhl zurück. »Ich begebe mich nun in meine Kammer, Zensor. Ich bin müde und gedenke gesund und fest zu schlafen, doch die Bergkinder schlafen nie, drum ist's ratsam, du störst meinen Schlaf nicht. Erzähl den Leuten hier, was dir beliebt, ich werde dir nicht widersprechen, du kannst vermeiden, Zensor, daß du dein Gesicht verlierst.«
Brann spürte seinen Blick ihr folgen, während sie die Gaststube verließ. Yaril sauste vor ihr die Stufen hinauf, Jaril kam nach, deckte Brann den Rücken; allerdings war sie zu stark mit sich selbst beschäftigt, als daß so etwas ihr aufgefallen wäre, sie begriff es erst, nachdem ihr Triumphgefühl verflogen war, auf dem Weg durch einen vom Lampen erhellten Korridor zu ihrem für die Nacht gemieteten Zimmer.
Im Kamin knisterte munter ein Feuer, behaglich nahe am Kamin stand ein mit heißem Wasser gefüllter großer Kübel, daneben kupferne Kannen mit zusätzlichem Heißwasser zum späteren Nachgießen. Auf dem aus Binsen geflochtenen Sitz eines Lehnstuhls mit hohem geraden Rücken lagen
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