Brann 01 - Seelentrinkerin
Türrahmen, schaute ihr nach, wie sie über den mit allerlei Kraut bewucherten Acker zur Hecke eilte, mit dem Grün verschmolz. Sie schüttelte den Kopf, wandte sich um und machte sich daran, eine Mahlzeit zuzubereiten, während sie auf Jarils Ankunft wartete.
Der Nebelkranich flog voraus, suchte freie Strecken, führte Brann und Yaril auf gewundene ländliche Wege, bei denen es sich um kaum mehr als Kuhpfade handelte. Überwiegend zogen sie bei Nacht durchs Land, versteckten sich oder wichen Fahndern aus, wenn es sich als nötig erwies, beobachteten Temueng und ihre Handlanger, die wie aufgescheuchte Läuse durch die Gegend wimmelten, selbst in den entlegensten Winkeln umherschnüffelten, Brann bisweilen nur ganz knapp, um Haaresbreite, zu fassen versäumten, während sie sich langsam nach Süden und Westen bewegte, in der Richtung nach Tavisteen blieb, obwohl unter immer größeren Schwierigkeiten, während Zahl und Umtriebe der Fahnder stetig zunahmen. Die Kinder stahlen Essen für sie, für Coier Hafer, um das Tier bei Kräften zu halten, es bekam nie genug Rast und Gelegenheit zum Grasen. Brann wurde hager und knochig, Mattigkeit und Hunger entwickelten sich zu Begleitern, die nicht mehr von ihr wichen, sie schlief unregelmäßig und mit ständigen Unterbrechungen, verzehrte nur hastig gemampfte Mahlzeiten. Fünf, sieben, zehn Tage, bisweilen mußte sie so umständliche Umwege machen, daß sie nahezu im Kreis ritt. Trotzdem schaffte sie es jedesmal, ein wenig weiter nach Süden zu gelangen. Zweimal stieß sie mit Temueng zusammen, doch tötete sie sie mit dem Beistand der Kinder, trank ihr Leben, gab etwas von der Lebenskraft Coier ab, erneuerte die Kräfte, die die Mühsal der Flucht ihn kosteten.
Die ausgedehnte fruchtbare Ebene im Landesinnern Croaldhus senkte sich seewärts immer tiefer, bis Segge und Sumpfgewächse die grasigen Weiden und bestellten Felder ablösten, stilles Wasser in den Geländemulden moderte, schaumig-grün von Schlamm und Algen. Brann erreichte den Rand des Marish, einer weitläufigen Fläche von Moorland und grasbewachsenen Niederungen, die so etwas wie einen zottigen Bart an Croaldhus Kinn bildete, auf Branns Fluchtweg ein ernsthaftes Hindernis waren, ja sogar zur Falle werden mochten, gab sie nicht acht, kamen die Temueng ihr in dieser Umgebung nahe genug, konnte sie womöglich zwischen sie und ein unüberquerbares Gewässer oder einen abgrundtiefen Schlicktümpel geraten. Der Nebelkranich flog über den Ausläufern des Marish hin und her, erkundete begehbare Wege durchs Moor, eine verschlungene Strecke von einem winzigen Schlamminselchen zum nächsten, er watete durch Teiche und Wasserläufe, um Tiefe und Beschaffenheit des Grunds zu prüfen, blieb dabei möglichst nahe bei der Handelsstraße, damit er die Gefährtinnen im Gewirr dieses feuchten Landstrichs nicht aus dem Blickfeld verlor, hielt es auch noch so, nachdem die Straße in eine auf niedrigen breiten Steinbogen erbaute Dammstraße überging, die etwa mannshoch überm Wasser verlief, denn die bedeutete eine zusätzliche Gefahr, weil Temueng, die darauf entlangritten, einen ziemlich weiten Ausblick in die Sümpfe hatten. Er führte Brann, Coier und Yaril in die von ihm festgelegte Richtung, gewährleistete dabei stets, daß sich zwischen ihnen und der Dammstraße ein dünner Sichtschutz aus Zypressen, Flerpinen und wurzelfaulem Finnshon erstreckte. Der Wunde Mond nahm zu, wurde wieder rund, außerdem sahen die Kristallaugen der Kinder bei Nacht so gut wie am Tag, deshalb wanderte Brann die ganze Nacht hindurch, langsam und mühselig, kämpfte sich über unsäglich schwierigen, tückischen Untergrund vorwärts, rutschte und schlitterte häufig, die halbe Zeit lang mußte sie absitzen und an Coiers Seite durchs Gelände streben, ihn streicheln, trösten, ihm neue Kräfte zuleiten, ihm auszuhalten helfen, und so stapften, stolperten sie einher, bis sie eine Schlamminsel betraten, die so hoch lag, daß sie beide das Wasser vollends verlassen und sich den Egeln und Milbenlarven entziehen konnten, die ihnen, die sie aus Fleisch und Blut bestanden, das Dasein übel erschwerten, während sie den Wandelkindern keinerlei Beachtung schenkten.
Grau. Selbst am hellen Tage war alles grau. Grauer Himmel, graue Gewässer, grauer Matsch, an Riedgras, Büschen und niedrigeren Ästen von Bäumen trocknete grauer Schlick, graue Schwämme und Pilze, graue Insekten, alles war grau. Rings um Brann wallten stickig die Dünste der Feuchtigkeit
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