Brann 01 - Seelentrinkerin
Galopp, folgte Yaril auf der Landstraße, fühlte angesichts der entfesselten Kraft, die das Roß unter ihr entfaltete, ein Aufwallen von Entzücken. Die Hecke zur Linken wucherte sichtlich wüster, die Anzeichen nachlässiger Pflege, wie man sie einige Zeitlang hatte sehen können, fehlten nun vollends, aufgeschossenes Gestrüpp rückte langsam aufs Straßenpflaster vor.
Nach einer Weile stand Yaril mitten auf der Straße, winkte Brann zu einer schmalen Lücke, wo das Gesträuch verdorrt war und die wenigen Blätter, die noch an Aststummeln hingen, welk und gelb aussahen. Ohne Zaudern lenkte Brann das Roß von der Landstraße, trieb Coier mittels Fersen, anfeuernden Rufen sowie leichten Schlägen der Hand gegen den Hals auf das brüchige Gestrünk zu. Den Schädel zurückgebogen, brach das Pferd, während es aus Mißmut schnaubte, sich Bahn durch das morsche Gezweig, preschte auf einen seit längerem verwilderten Acker, inzwischen dicht überwachsen mit einem zierlichen Kraut, in dessen Mitte ein ausgebranntes Gebäude stand, das Strohdach war zum Großteil vernichtet, die steinernen Mauern waren geborsten, die Steine schwarz verkohlt trotz des Regens und so mancher vorheriger Regenfälle. Durch eine Tür, von der noch der halbe Rahmen vorhanden war, während der Rest in Splittern zwischen verkohlten Mauersteinen und dem Geschling von Gewächsen lag, ritt Brann das Pferd in den bescheidenen Unterschlupf. Die Überbleibsel des Dachs troffen von eingedrungener Feuchtigkeit, und es regnete durch, aber sie schützten zumindest gegen die ärgste Nässe. Mit zittrigen Beinen und einem Aufseufzen der Erleichterung saß Brann ab, es machte sie heilfroh, dem unablässigen, bedrückenden Patsch-klatsch auf Körper und Kopf entronnen zu sein. Sie schloß die Lider, lehnte sich ans Gemäuer, Regenwasser rann von ihr in die dicke Schicht aus Vogelkot, alten Federn, Überresten des Strohdachs und Kraut, die den Boden aus festgestampfter Erde bedeckte. Aber sie konnte nicht einfach auf diesem Fleck verbleiben. Sie schlang die Zügel um den noch aufrechten Türpfosten und lief zurück zu Yaril.
Das Wandelkind wühlte im Schlamm, füllte die Abdrücke, die Coiers Hufe hinterlassen hatte, half dem Regen nach, der sich anschickte, die tiefen Kerben der Eisenhufe im Schlick fortzuspülen. Die Bresche in der Hecke sah für Branns Begriffe breit wie ein Scheunentor aus; sie unternahm einen Versuch, ein paar Äste der grünen gesunden Sträucher vor die Lücke zu ziehen, aber dadurch schien sie nichts zu erreichen, außer daß die kahle Stelle noch auffälliger wirkte. Yaril richtete sich auf, Matsch lief an ihr hinab, und im Handumdrehen stand sie wieder trocken und sauber da. Als sie sah, womit sich Brann abplagte, kicherte sie. »Sei nicht töricht, Brombeer!« Die Verwendung des Spitznamens in diesem Zusammenhang belustigte sie anscheinend um so mehr, sie lachte, bis sie beinahe johlte, nahm sich dann jedoch zusammen. »Geh nur«, drängte sie, »versteck dich! Jaril kommt, er wird bald hier sein und beobachten, was geschieht, solange ich's nicht kann.«
»Solange du's nicht kannst?«
»Erst beobachten, dann auf Kundschaft fliegen.« Yaril lachte nochmals auf, stellte sich neben die verkümmerten Strünke des abgestorbenen Strauchs und veränderte ihr Äußeres. Mit staunenswerter Plötzlichkeit wurde sie zu einem Teil der Hecke, sah so grün und saftig, so wild und dornig aus wie die Sträucher zu ihren beiden Seiten.
Während sie über ihre Gedankenlosigkeit den Kopf schüttelte, stapfte Brann zu dem ausgebrannten Bauwerk, der Scheune, dem Wohnhaus oder Lager, was immer es einst gewesen sein mochte. Dort entledigte sie sich der durchtränkten Kleidung, rieb sich mit einer ihrer Decken trocken, nahm Coier Sattel und Zaumzeug ab und rieb ihn ebenfalls, bis sie infolge der Anstrengung schwitzte, häufte ihm dann als Futter zwei Handvoll aufgesprungener Haferkörner aufs Sattelleder. Sie legte ihn lediglich an die Halteleine, ließ ihm innerhalb deren Länge Bewegungsfreiheit, danach kramte sie ihre alten schmutzigen Sachen heraus, Bluse und Hose, schlüpfte hinein. Zumindest waren sie trocken. Wegen des Gestanks, der aus dem dunklen dicken Stoff aufstieg, rümpfte sie zunächst die Nase, jedoch gewöhnte sie sich rasch daran. Sie faltete die feuchte Decke zu einem Sitzkissen zusammen, setzte sich mit dem Rücken ans grobe Mauerwerk, begann sich fast behaglich zu fühlen, da kam Jaril. »Sie sind fast hier«, sagte er. »Du wirst
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