Brann 01 - Seelentrinkerin
sie gleich hören.« Er kauerte sich zu ihr. »Soviel ich sehen konnte, haben sie keine Abzweigung beachtet, sie reiten immerzu geradeaus, treiben die Pferde gehörig an, sie hoffen wohl, dich einholen zu können.«
»Was wird geschehen, wenn sie ihre Pferde völlig erschöpft haben, ohne daß sie uns irgendwo begegnet sind?«
»Dann werden sie die Landbevölkerung belästigen, vermute ich. Horch!«
Durch den Regen, der endlich etwas nachließ, hörte man Hufschlag auf dem abgenutzten Pflaster der Handelsstraße dröhnen. Coier hob den Kopf, regte sich unruhig. Brann sprang auf, trat zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Nase, für den Fall, daß ihm etwa danach sein sollte, den Reittieren auf der anderen Seite der Hecke herausfordernd zuzuwiehern. Sie lauschte gewissermaßen mit Leib und Seele, während die Reiter vorübersprengten, daß es nur so donnerte, klapperte und platschte, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, bis die Geräusche flugs gen Süden verklangen.
Schließlich ließ sie den angehaltenen Atem entweichen. Jaril drückte ihr sacht die Finger. »Ich eile hinfort, Brombeer. Es empfiehlt sich, sie noch ein Weilchen im Auge zu behalten.« Er schaute rundum. »Ich glaube, du kannst's wagen, ein Feuerchen zu entfachen, Yaril wird dir das Nötige bereitstellen, laß die Sachen trocknen. Du solltest auch etwas essen, kann sein, daß es noch anstrengender wird.« Dann war er auf einmal ein Nebelkranich, der zur Ruine hinausstelzte. Brann folgte ihm ins Freie, spähte ihm nach, wie er einen steifen Anlauf nahm, danach jedoch schwungvoll emporstieg, auf dem Erdboden auf putzige Weise unbeholfen, in der Luft dagegen die Schönheit selbst. Sie verweilte einen Augenblick lang, wischte sich Feuchtigkeit aus dem Gesicht, war urplötzlich schlicht und ergreifend darüber froh und glücklich, am Leben zu sein, hatte sogar ihre Freude am Regenwasser, das ihr aus den Haaren sickerte, genoß den Atem in den Lungen, der ihr den Busen zum Wogen brachte, ihr die Rippen dehnte. Sie verharrte lange genug, um zu sehen, wie Yaril sich in ihrer Kindergestalt aus der Hecke löste, durchs nasse Kraut herüberkam, eine zarte hübsche Elfe, die nun zu Brann gehörte, einen Teil ihrer Familie abgab. Brann lächelte und wartete, bis Yaril sie erreichte.
Brann erwachte aus einem längeren Nickerchen und sah, daß der Nachmittag sich aufhellte, während die Wolkendecke aufbrach und das Gewölk sich verzog. Yaril saß stumm an dem kleinen Feuer und starrte in die Glut, das Gesicht verschlossen, die schmalen Schultern gewölbt, die kristallgleichen Augen glommen vom Widerschein der Flämmchen. Brann verspürte eine gewaltige Traurigkeit, eine Sehnsucht, bei der ihr zum Weinen zumute war; doch es war nicht ihr Kummer, den sie spürte, vielmehr gingen diese Gefühlsschwingungen von Yaril aus. Zum erstenmal begriff sie, daß Yaril genausoviel wie sie verloren hatte, von Heim und Familie geradeso getrennt war wie sie. Und es bestand kaum eine Aussicht, daß die Kinder jemals in ihre Heimat und zu ihresgleichen zurückkehren konnten, sie waren ebenso umfassend verändert worden wie Brann, verbannt in eine Welt, in der es niemanden gab, der ihre tiefempfundensten Freuden und tiefsten Kümmernisse mit ihnen zu teilen vermochte. Brann benetzte sich die Lippen, wollte etwas sagen, Yaril versichern, daß sie sie verstand, aber ehe sie die rechten Worte fand, drehte Yaril den Kopf, grinste, sprang auf, vereitelte stillschweigend jedes Eindringen in ihre Gefühle. »Jaril ist aufm Rückweg. Der Regen hat aufgehört, wir werden die Nacht durchreiten, wenn's sich machen läßt, und erst morgen wieder rasten.«
Brann gähnte. »Was hat er zu berichten?«
»Die Temueng sind geritten, bis der Regen endete, mußten sich aber schließlich eingestehen, daß sie dich irgendwie übersehen hatten. Es gab unter ihnen mancherlei Hin und Her und einigen Schaum vorm Maul«, — Yaril kicherte —, »und zuletzt ritt der Vollstrecker weiter in Richtung Tavisteen, dein teurer Empush befindet sich auf dem Rückritt, er schickt die übrigen Temueng — einen nach dem andern — an den Abzweigungen ins Land, damit sie bei den örtlichen Besatzern Alarm schlagen, und er sieht sich unterwegs ziemlich aufmerksam die Hecken an. Es ist an der Zeit, daß ich wieder hingehe und mich in 'ne Pflanze verwandle. Ist langweilig, aber nicht ganz so übel, wie ein Stein zu sein.« Mit einem abermaligen Kichern lief sie aus der Ruine.
Brann folgte ihr bis zum zerstörten
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