Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Schilf bewucherter Höcker sah fast wie der andere aus, die schmalen Fahrrinnen waren für ihr Auge nicht zu unterscheiden; ehe sie ein paar Biegungen hinter sich brachten, hatte sie völlig den Überblick verloren.
Nach einer Drittelstunde gelangte das Boot erneut in ein offeneres Gewässer, eine ausgedehnte, ruhige Wasserfläche mit weithin verstreuten, Hunderten von kleinen Inselchen, die sich in dichten Trauben um eine erheblich größere Insel drängten; als das Fährboot zwischen die Inseln vorstieß, sah Brann, daß sie aus Bündeln aufgehäuften Nai-Schilfs bestanden, befestigt mit Schlamm und bedeckt mit Schilfmatten; auf jedem Inselchen erhob sich eine kleine Jurte. Zahlreiche Hängebrückchen verbanden die Inseln innerhalb einer Ansammlung sowie die etlichen Ansammlungen von Inselchen miteinander. Auf der großen Insel standen mehrere Langhäuser in der Bauart des Gebäudes am Anlegeplatz der Pilgerbarken.
So baute man ein Langhaus: Man nahm spitz zulaufende Bündel langen Nai-Schilfs und umwickelte sie mit Schilfkordel, bis sie wie fünfzig Fuß hohe Stangen mit drei Fuß Durchmesser am unteren Ende aussahen, bohrte sie im Abstand von einem Klafter in zwei Reihen zu je zehn in den Lehmboden, nach innen geneigt wie riesige Grannen gewaltig großer Ähren. Die geneigten Spitzen band man zusammen, verflocht sie ineinander und schuf so zehn nebeneinander aufgereihte Bogen aus Schilf. Über diese Bogen breitete man als Längsabdeckung dünnere Schilfbündel. An die Seiten nähte man über kreuz in der Mitte geschlitzte Riedmatten als Seitenwände. Und schon konnte man einziehen.
Auf gleichartige Weise, nur in kleinerem Maßstab, baute man die Einzelbehausungen.
Der Fährknabe beförderte Brann und Jaril zu einem der äußeren Inselchen; vermutlich beruhte seine Entscheidung auf einer für Fremde nicht nachvollziehbaren Beurteilung von Geschlecht, Alter und Gewandung seiner Fahrgäste. Nachdem Brann ihm die Summe, die er forderte, gezahlt hatte, zeigte er auf die Langhäuser. »Wollt'r Essen, gibt's da«, sagte er. Mit seinen schwarzen Augen, die wie Süßholzsaft glänzten, der Stupsnase und seinem fröhlichen Grinsen, das kleine, scharfe, winzigen Meißeln ähnliche Zähne entblößte und seine Augen zu schwarz gesäumten Schlitzen verzog, hatte er etwas Affenartiges an sich. »Alles andere gibt's auch da.« Er sprang zurück ins Boot, stieß es ab und war im Handumdrehen wieder im Schilf verschwunden.
Die Jurte wölbte sich bis etwa in Hüfthöhe über den rissigen Lehm. Davor war ein merkwürdiges Gerüst vorhanden, eine Art von Anbau, der vom Ufer hinauf zu einem schmalen Vorplatz reichte, etwas wie eine Mischung aus Hängebrücke und Treppe, gerade breit genug für einen Menschen. Das Gestell knarrte und ächzte, als Brann den untersten Abschnitt betrat, und sackte ein wenig seitwärts; sie grapschte nach dem Tau, das man als Geländer gespannt hatte, verschaffte sich Halt, bevor sie von der >Brückenstiege< stürzte und erklomm vorsichtig den Standort der Jurte.
Als sie die Tür öffnete, schlug ihr der Geruch sämtlicher Pilger entgegen, die im Laufe der Wallfahrtszeit dieses Jahres in der Behausung gewohnt hatten, womöglich sogar noch eines Dutzends aus dem vorangegangenen Jahr. »Bei Slyas Achselschweiß!« Brann stöhnte laut, schwang die Tür so weit auf, wie es ging, hob von den Fensterlöchern die Matten, stützte sie mit den Stangen ab, die sie neben den Fenstern zusammengebunden bereitliegen fand. »Wie wär's, du tust uns 'n Gefallen, Jay?«
Jaril lehnte auf der Schwelle, die Nase war aus seinem Gesicht verschwunden. »Und wenn wir dadurch sie auf uns aufmerksam machen ...? Du weißt, wen ich meine.«
»Hah! Du bist nur zu faul, Schätzchen! Wenn sie dich bis jetzt noch nicht gerochen hat, wird sie's auch nicht merken, wenn du diesen Saustall mit Feuer reinigst und 'n paar Wanzen und Flöhe brätst. Wenigstens hoff ich's. Und wie sollst du den ... den Dings suchen, du weißt schon, was für 'n Ding, wenn du nicht die Gestalt wandeln kannst? Betracht's als Versuch, Jay.«
3 Mitte des Nachmittags. Verschleiert in undurchsichtigem Schwarz, gehüllt in schwarze Kleidung, wanderte Brann die lange Rampe hinauf zur Höhe des Heiligen Felsens. An ihrer Seite trugen zwei Moorland-Männer Jaril in einer Sänfte, in der er in Decken bleich und schön hingestreckt ruhte, kaum Fleisch auf den fein geschwungenen Knochen (eine sorgsam ausgeführte Täuschung, da er gar nichts besaß, das Knochen
Weitere Kostenlose Bücher