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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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geähnelt hätte), vergleichbar mit einem gefallenen Engel, die Kristallaugen geschlossen, um ihre Fremdartigkeit zu verbergen, und ebenso verhehlte er, obgleich mit etwas Mühe, seine Ungeduld. Brann spürte seine innere Belastung, nahm seine Hand. Er entkrampfte sich ein wenig, schenkte ihr ein schwaches Lächeln. Aber er umklammerte ihre Hand so fest, daß sie voraussah, sie würde nachher an den Fingern blaue Flecken haben. Das inwendige Band zwischen ihnen war seit Yarils Verschwinden, indem die Tage verstrichen, nach und nach immer inniger geworden, fast hätte man meinen können,
    Jaril versuchte Brann dahin zu drängen, daß sie Yarils Platz einnahm. Sie weigerte sich, daran nur zu denken, und auch, sich darüber Gedanken zu machen, was aus ihr und Jay werden sollte, falls sie scheiterten; derartige Überlegungen hätten sie zu stark verunsichert, und sie konnte sich gegenwärtig keine Ablenkung leisten.
    Die Rampe, die sie erstiegen, hatte die Breite einer Straße und war mit den gleichen Ziegeln in warmem Ockergelb gepflastert, aus denen man die ganze Sihbaraburj errichtet hatte; sie war aus dem Fels gehauen worden und verlief an der gesamten Länge der Nordseite des Heiligen Felsens durch sieben abgeknickte Abschnitte aufwärts, steil genug, um die Pilger ins Schwitzen zu bringen, jedoch nicht so steil, daß sie entkräftet worden wären. Während der Wallfahrtszeit bot sie sicherlich einen eindrucksvollen Anblick, wenn Scharen von Amortis-Anbetern mit Fackeln und Räucherwerk die lange Steigung erklommen, in ihrer Mitte Mutri-mabs, die Purzelbäume schlugen oder vorsangen, Flöte spielten oder in einem schwierigen verschlungenen Schleifentanz sich drehten-drehten-drehten und den geweihten Weg hinaufwirbelten. Am heutigen spätherbstlichen Nachmittag hingegen befand sich Brann mit Jaril und den Trägern allein auf der Rampe; diese Entblößung behagte ihr überhaupt nicht, sie hatte die Absicht gehabt, erst am nächsten Morgen mit anderen Pilgern zum Tempel emporzusteigen, doch Jarils insgeheime Anspannung war zu groß für jeden weiteren Aufschub; gesagt hatte er nichts, aber ihr war klar gewesen, daß er, nötigte sie ihn noch länger zur Zurückhaltung, auf eigene Faust handeln würde, in so bitterer, grimmiger Gemütsverfassung war er, keine Gefahr wäre ihm zu schrecklich, um endlich, endlich den Talisman zu finden und sich anzueignen. Deshalb war es besser, sie gingen die geringere Gefahr ein, von Amortis entdeckt zu werden.
    Sie erreichten die Höhe des Heiligen Felsens nach einer halben Stunde Aufstieg und durchquerten ein hohes Steintor, so behauen, daß es Ähnlichkeit mit der Schilfbauweise der Langhäuser aufwies. Dahinter gelangten sie in einen hübschen grünen Garten, in dem viele Springbrünnchen plätscherten, Palmen lange spitze Schatten über Rasen warfen, die kostbaren Teppichen glichen, überall in flachen, breiten Gefäßen mit rotgelb-blauer Glasur Blütengewächse gediehen. Schmiedeeiserne Zäune, von denen oben in kurzen Abständen messerscharfe Speerspitzen aufragten, säumten die Gartenpfade: Man durfte alles anschauen, aber nichts anfassen.
    Unmittelbar vorm Haupttor der Sihbaraburj blieben die Träger stehen. Sie stellten die Sänfte ab und hockten sich daneben, um zu warten, bis Brann umzukehren wünschte. Die >Witwe< half ihrem schwächlichen Sohn auf die Beine, wickelte ihn aus den Decken. Er trug teure Seide, Edelsteine und Überheblichkeit zur Schau, mimte ein vornehmes sieches Muttersöhnchen.
    Jaril stützte sich auf Branns Arm, und sie betraten gemeinsam den Tempel.
    Helligkeit strömte durch Lichtschächte herein und wurde durch Hunderte von Spiegeln widergespiegelt und verstärkt. Überall im Innern dieses aus Ziegeln emporgetürmten Bergs gab es Spiegel, Licht gaukelte von Fläche zu Fläche, als schwämme es in der Luft wie Wasser, vielfältig wurde alles gespiegelt und wiederholt gespiegelt, wie das Licht von Spiegel zu Spiegel geworfen, bis Wirklichkeit und Abbild sich nicht länger auseinanderhalten ließen, einander gleichwertig zu sein schienen. Versonnen schlenderte Brann durch den Irrgarten von Korridoren und kleinen Innenhöfen, strebte durchs Gleißen von Lichtschein und kühlen, von Räucherwerk durchwehten Luftzug, und wunderte sich, weil sie nicht im mindestens das Gefühl hatte, sich unter einem ungeheuren Gewicht von Erde und Ziegeln aufzuhalten; wie zwischen Wirklichkeit und Abbild gab es auch eine Verwirrung zwischen innen und außen, die den

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