Brann 03 - Das Sammeln der Steine
nicht. Na schön, dachte Kori, wenn ich es tun muß, ist es wohl besser, ich tu es rasch.
Sie untersuchte den Knoten, knüpfte ihn auf. Nachdem sie die Öffnung der Torbaoz geweitet hatte, schob sie zwei Finger in das Durcheinander im Innern, ertastete die kühle Rauhheit der Silberkette. Sie hakte einen Finger um sie und zog sie mitsamt allem, was außer dem Talisman daran hing, aus dem Beutel. Der Schamane schnarchte weiter, doch hatten die Schnarchtöne jetzt Ähnlichkeit mit Gepruste; der Schlummer des Alten war mittlerweile derartig unruhig geworden, daß Korimenei deutlich merkte, es war Eile geraten. Während sie Frunzacoache von einem getrockneten Fledermausflügel und einigen Stengeln einer ihr unbekannten Pflanze befreite, stöhnte der Schamane, wachte aber noch immer nicht auf; die Erschöpfung infolge des sechstägigen Rituals hielt ihn nieder wie mit Ketten.
Kori hängte sich Frunzacoache um den Hals, steckte ihn sich unter die Bluse, er legte sich wie eine warme Hand zwischen ihre Brüste, seine Wärme verdutzte sie, weil er aus Silber und Kristall bestand, also Stoffen, die sich gewöhnlich auf der Haut kühl anfühlten. Sie nahm die Nachbildung, die sie und Ailiki angefertigt hatten, und schob sie in die Torbaoz, stopfte sie mitten zwischen die anderen Ritualgegenstände. Sobald sie damit zufrieden war, zog sie die Zugschnüre des Beutels zusammen und knüpfte den Knoten möglichst genau wieder so, wie sie ihn vorgefunden hatte. Dann winkte sie Ailiki, damit sie vorausging, und kroch aus der Hütte.
Die Kälte im Freien traf sie fast wie ein Schlag. Wind hatte zu wehen angefangen, blies ihr Schnee ins Gesicht. Ihre Ellbogen und Knie kamen ihr wie vereiste Angeln vor, als müßten sie brechen, wenn sie sie beugte. Ailiki sprang zu ihr, schmiegte sich an sie, ließ einen Schwall von Glut in sie überfließen, der Frunzacoache aus seiner Untätigkeit erweckte. Der Talisman breitete in Koris Körper Wärme aus, erwärmte die Gelenke, so daß sie sich, wenn auch mühsam, erheben konnte. Das Gehen wirkte sich zusätzlich günstig aus. Sie folgte Ailikis elfenhaftem Glimmern durchs Schneegestöber, stolperte an den Langhäusern vorbei, in denen noch Dunkelheit und Schlaf herrschte, an den Pferchen, in denen wie weiße Erdhöcker Schafe und Ochsen, Geyker und Boghans lagen, durcheilte dann die baumlose Fläche vor der Mündung der Schlucht.
Der Aufstieg zu ihrem Lagerplatz erwies sich als leichter, als sie es erwartet hatte. Statt ins Gesicht wehte ihr der Wind jetzt in den Rücken. Ailiki leuchtete wie eine kleine gelbe Sonne, so daß Kori sah, wohin sie die Füße setzte, und Frunzacoache wärmte ihr von innen den Körper. Ihr blieb wenig Zeit zum Nachdenken, während sie die tückischen Abhänge erklomm, gerade genug, um sich über das seltsame Band zu wundern, das sich nun zwischen ihr und dem Talisman zeigte; kaum hatte sie ihn sich umgehängt, schien es bereits, als hätte sie ihn schon immer bei sich gehabt.
Als sie in ihr Versteck kroch, begann vor ihr in der Luft Tres Eidolon zu flimmern. »Nun?«
Korimenei kauerte sich auf die ausgelegte Unterlage, sah das Eidolon an. »Ich habe ihn«, sagte sie schließlich. »Wie lange wird's schneien?«
Tres geistige Stimme zeichnete sich durch Stumpfheit und Ausdruckslosigkeit aus, bezeugte nur den geringsten Aufwand. Er antwortete ihr allein aus einem Grund: Damit Korimenei dank seiner Mitteilungen schneller bei ihm eintraf. Nein, nicht sie, sondern der Talisman. »Der Schneefall wird etwa bei Sonnenaufgang enden. Danach wird starker Wind wehen, aber du wirst reiten können, es ist sogar empfehlenswert, daß du gerade dann reitest, weil der Wind deine Spuren verwehen wird. Nach ungefähr einer Stunde wird der Wind abebben, doch werden Böen eisiger, klammer Luft auftreten, von der Art, wie man sie bis in die Knochen spürt. Du mußt auf die Pferde achtgeben, überanstrenge sie nicht. Durch die Vorhügel führt so etwas wie eine Landstraße nach Süden, im Frühling und Sommer benutzen die Vanner Rukks sie, aber sie sind auch längst im Winterlager, du wirst ihnen nicht begegnen. Wenn du der Straße folgst und nicht bummelst, wirst du gegen Sonnenuntergang ein Gsany-Rukk-Dorf erreichen. Dort kannst du für die Nacht im Gemeindehaus unterkommen, außerdem Hafer und Tee kaufen, man unterhält stets einen Vorrat für Winterreisende. Anschließend wird eine Woche klaren, kalten Wetters folgen, danach erst steht das nächste Unwetter bevor. Dafür mußt du dir
Weitere Kostenlose Bücher