Brann 03 - Das Sammeln der Steine
Blut war in den Schnee gespritzt. Geronnen? Nein, der Mann blutete noch; er mußte am Leben sein. Korimenei schwang sich vom Pferd, lief zu dem Hingestreckten, kniete sich neben ihn, schob ihm Finger unters Kinn; sie spürte keinen Puls, aber bereits eine oberflächliche Körpererkundung stellte klar, daß er tatsächlich noch lebte. »Aili, komm her.« Sie hob die Mahsar hoch und setzte sie dem Mann auf den Rücken. »Tu was du kannst, um ihn zu wärmen, mein Liki, während ich mir überlege, wie wir ihn aus dem Schnee schaffen.« Ohne darüber Klarheit zu besitzen, was sie machte, schloß sie eine Hand um Frunzacoache; der Talisman fühlte sich an, als brenne er vor Eifer, als hätte es ihn tief gewurmt, jahrelang ungenutzt im Beutel des Schamanen zu stecken. Er war ein Brennpunkt der Erneuerung; so stand es jedenfalls in den Büchern. Die Großen Talismane waren in keiner Hinsicht wirkliche lebende Geschöpfe, doch Kushundallian zufolge entfalteten sie dann und wann eine Art von Eigenwillen, als wüßten sie auf irgendeine gedankenlose Weise, was sie wollten, und bedienten sich jeweils der Hände, die sich ihnen anboten, um es zu erreichen.
Korimenei hockte sich auf die Fersen und rieb sich den Rücken. Es war Spätnachmittag, Wolken wälzten sich über den Himmel, während man unten auf der Erde kaum einen Lufthauch bemerkte, und allzu eisig war es nicht; für diesen Mann jedoch, der da vor ihr im Schnee lag, bedeutete all das keine Hilfe. Wenn er nicht sterben sollte, mußte sie die Pfeile entfernen und ihn irgendwo unterbringen ... Sie berührte sein langes, schwarzes Haar, strich mit den Fingern über seine Wangenknochen und die Nase, versuchte sich darauf zu besinnen, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Etwas war an ihm ... irgend etwas ... Sie erkannte ihn nicht, noch nicht. Inzwischen war sein Leib etwas wärmer geworden; Ailikis Körperwärme wirkte sich hilfreich aus. Aber gleichzeitig hatte er stärker zu bluten angefangen. Kori sprang auf und rannte zum Gepäck.
Sie zerrte den Mann aus dem Schnee auf die Landstraße und bettete ihn auf eine Bahn Segeltuch, hüllte ihn, um die ihm von Ailiki gespendete Wärme festzuhalten, in Decken, kauerte sich dann wieder zu ihm, betrachtete sorgenvollen Blicks die Geschosse. Sie mußte sie herausziehen, ohne ihn dabei vom Leben zum Tode zu befördern. Sollte sie sie herausschneiden? Beim bloßen Gedanken schauderte es Kori. Kam eine Materia-Versetzung in Frage? Nein, ebensogut könnte ich sie einfach packen und herausreißen. Es bestand die Möglichkeit, die Schäfte zu verbrennen, doch dann blieben die Pfeilspitzen in den Wunden zurück. Materia-Verwandlung? Hmm. Könnte gelingen. Mit ein wenig Unterstützung durch den Talisman. Erst nehme ich mir den Pfeil im Bein vor, wenn es da mißlingt, entsteht geringerer Schaden. Sie holte Frunzacoache aus ihrer Bluse, preßte die linke Hand auf ihn, während sie sich auf den Vollzug der Materia-Verwandlung vorbereitete. Sie langte nach den Schäften, verharrte. Sind die Spitzen aus Knochen, Eisen oder aus was? Sie faßte ein Geschoß an, erkundete die Beschaffenheit des Pfeils. Eisen, jawohl.
»Meta mephi mephist mi«, sang sie, schloß die Hand fest um den Schaft, fühlte ihn in ihren Fingern von Schwingungen erzittern, als die magische Einwirkung in ihm Veränderungen einleitete. »Syda ses sydoor es es. Meta mephi mephist mi. Xula xla es eitheri.«
Das Holz wandelte sich in Luft um; aus der Wunde sickerte klares Wasser.
Korimenei lächelte, schüttelte sich, nahm sich Frunzacoache an seiner Kette vom Hals. Sie legte den flachen Kristall mit dem darin eingeschlossenen, leblosen Blatt auf die Einschußwunde, drückte ihn auf sie, hielt ihn fest, obwohl die Hitze, die er ausstrahlte, bald so heftig war, daß sie schmerzte, hielt und hielt aus, bis diese Hitze abklang. Danach tat sie den Talisman beiseite und untersuchte die Stelle, wo sich die Verletzung befunden hatte. Der Einschuß war verheilt; man sah nicht einmal eine Narbe.
Auf den Knien rutschte Korimenei an der Gestalt des Ausgestreckten entlang, bis sie einen zweiten Pfeil in ihrer Reichweite hatte, das Geschoß ruckte regelmäßig, so schwach, daß man es nur erkannte, wenn man mit angestrengter Genauigkeit die Federn beobachtete. Der Pfeil mußte dicht am Herzen stecken. Das machte Koris Aufgabe überaus heikel. Falls er etwas Lebenswichtiges verletzt hatte, mochte es, entfernte man ihn, ebenso gefährlich sein, als wenn man ihn in der Wunde ließ,
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