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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Maksim zu überlisten, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, sein Eidolon zu schicken, um mit ihr zu plaudern. Vielleicht jedoch steckte mehr dahinter, sie schloß nicht aus, daß Trago sie unbemerkt zu dieser Strebsamkeit drängte. Eines wußte sie mit Sicherheit: Er hatte sie beobachtet, mit ihr gelernt, lange bevor er mit ihr zu sprechen begann. Sie bewegte den Mund. Es tat weh, an solche Sachen zu denken, aber das wichtigste von allem, was sie gelernt hatte — außer der Beherrschung magischer Kräfte, wie sich von selbst verstand —, war die Einsicht, daß es sich nie lohnte, sich zu belügen. Ganz gleich, wie man mit anderen Leuten umsprang, Selbstbetrug erwies sich unweigerlich als verhängnisvoll. Shahntien Shere hatte ihr das Wahre dieser Erkenntnis ebenso verdeutlicht wie Maksim. Er hatte eine seltsame Art, sie zu behandeln. Sie hätte beschworen, daß er sie nie belogen, die Wahrheit nicht einmal beschönigt hatte. Manchmal fand sie sich nur schwer damit ab, doch zu guter Letzt war sie ihm dankbar für seine Gewohnheit, sie als Eidolon zu besuchen, zuletzt sah sie darin den stärksten Ausdruck seiner Anerkennung. Und zuletzt war sie der Grund gewesen, warum Shahntien Shere aufgehört hatte, sie zu hassen. Und seither war das Leben an der Schule für sie erheblich leichter geworden.
    Die Sonne sank nach und nach westwärts; Schatten überquerten den Bach und krauchten ringsum kalt und stumm näher, bedrückten Koris Gemüt um so mehr. Sie war müde und hungrig, und den ganzen Tag hindurch - den sie deshalb als vertan bewerten mußte — hatte sie nicht mehr als ein, zwei Augenblicke lang wirkliche Meditation betrieben. Während des scheinbar endlosen Nachmittags krampfe sich ihr Magen noch etliche Male zusammen; bisweilen konnte sie an nichts anderes als Essen denken. In Tagträumen malte sie sich Brathähnchen in goldbrauner Soße aus. Sie dachte an Garnelen, gebacken in so leichtem Eierkuchen, daß ein leichter Windhauch ihn in Flocken wegwehen könnte, saftige rosa Garnelen. An goldgelbe, geschälte Pfirsiche, die von kräftig duftendem Saft troffen. An Erdbeeren, an dicke Stücke Obstkuchen mit reichlich Schlagsahne. Sie rief sich zur Ordnung und fing sich in aller Beschaulichkeit der Betrachtung eines Grashalms zu widmen an, den sie aus einem Büschel neben der Decke rupfte. Sie sann über seine Grünheit nach, über Grün als solches und über Grün, wie es sich an diesem besonderen stofflichen Gegenstand zeigte, durchzogen mit Streifen dunklerer Färbung, getupft mit Flecken und Pünktchen in Schwarz und Braun; sie dachte über den Rand nach, wo das Blatt endete und die Luft begann, den ganz fein gezahnten Rand, der weniger grün, eher ein Gesamtauszug der Farben war, aus denen grün sich zusammensetzte, ein helles, bleiches Gelb, das in weiß, in Farblosigkeit überging.
    Die Sonne hüllte sich in die Rottöne der Abenddämmerung, der Wind frischte auf, wehte so kühl durch Korimeneis Mantel und das Strickwams, und infolgedessen richteten sich ihre Haare auf den Armen und längs des Rückgrats auf. Der sanfte Geidranay kam die Berggipfel entlang. Er kauerte sich, den Kopf vor der Sonne, zwischen die Berge, seine Finger stocherten in den Kiefern, seine Erscheinung erregte einen so übersteigerten Eindruck, als wäre er der ins Übermenschliche erhöhte, vielfach vergrößerte und gegen den Hintergrund der abendlichen Düsternis geworfene Schatten des Alten in seinem Garten. Der Gipfelkehrer näherte sich, seine Finger strichen über die kleine Weide, streiften Korimenei und tasteten weiter, ohne daß er sie bemerkte. Die Finger glichen halbstofflichem Licht, waren durchsichtig, durchglitten die Luft, ohne sie aufzuwühlen, traumhaft und gleichzeitig beunruhigend, eine Art von schönem Alptraum. Korimenei erschauderte und schloß die Augen.
    Ein Dutzend Herzschläge später wagte sie die Lider einen Spaltbreit zu öffnen; der Gott war fort. Sie seufzte und löste sich aus der zuvor eingenommenen Haltung. Ihr Kopf schien irgendwie in etwas Trübem zu schwimmen, doch verschwand das Gefühl, je mehr sie sich regte. Sie tappte zum Bach, füllte erneut ihren Becher, blieb am Ufer stehen und sah zu, wie sich das Wasser verdunkelte, bis es, als die letzten Farben vom Himmel wichen, schwarzem Glas ähnelte. Mit dem Becher kehrte sie zu dem morschen Baumstumpf zurück, setzte sich dort neben ihren Ranzen und trank langsam das geschöpfte Wasser, Schluck um Schluck, bis sie das Trinkgefäß geleert hatte.

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