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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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kühnen,
    den Goldenen Hirsch.
     
    Ich bin der Goldene Hirsch,
    gewandt und voller Ungestüm.
    Pfeilschnell durchdring ich die Nacht
    stürme dahin wie ein Waldbrand,
    wenn Brunst mich verzehrt.
    Sie sucht meine Nähe,
    die flüchtige und unumschränkte,
    die Weiße Hirschkuh.«
     
    Korimenei ließ das Lied verklingen, so wie zuvor die Hirschkuh ins Dunkel wich. Warum? dachte sie. Was bedeutet das? Bedeutet es überhaupt irgend etwas? Sie schloß die Lider und verdrängte alles, Erinnerungen und Vorstellungen, aus ihrem Bewußtsein, achtete auf nichts als die Geräusche des Bachs. Lausche dem Gesang des fließenden Wassers, ermunterte sie sich, scheide die Känge voneinander. Erst die rauhen Töne. Sie hörte und bezeichnete sie: Das Schhhh des Wasserströmens, das stetige Blubb-blubb von Blasen, das Schlapp-schlapp-klapp des Naß gegen in den Bachlauf vorgeschobene Steine und Felsen, das Klaccklaccklong von Holz, wie es den Bach hinabtrieb, an Steine und Felsbrocken und gegeneinander stieß. Sie lauschte auf die einzelnen Tonarten des Singens, unterschied sie vom allgemeinen feuchten Murmeln des Fließens, richtete die Aufmerksamkeit auf einen, danach einen anderen, dann einen dritten Ton, erkannte sie, begrüßte sie gleichsam wie alte Bekannte. Faß all deine Aufmerksamkeit zusammen, ermahnte sie sich. Sie ist fort, schon wieder fort. Verenge deine Wahrnehmung, Weib. Du weißt, wie man es macht, du hast es bereits tausendmal getan. Fort. Du mußt es abermals schaffen. Aufmerksamkeit, beschwor sie sich, Zergliederung, Empfänglichkeit. Ebenmaß, sang sie sich innerlich vor, Begrenztheit, Rückgrat, Mark. In ihrem Kopf arbeitete die Wortschmiede, griff tief in die Truhe des Wortschatzes. Trennung, Absonderung, Vereinzelung, Unterbrechung, Reißen, Zerspellen, Spaltung, Abbrechen,
    Zerhacken, sang sie, bis die Worte in ihrem Innern das Dahingeschlängel des Bachs übertönten.
    Der Wunde Mond schob sich in den Westen, schwebte mit einer massigen Würde durchs Gesprenkel der Sterne, die mit ihrer Behäbigkeit Korimeneis Gemüt belastete, sie zu der Frage verleitete, ob diese Nacht je enden würde, ob sie noch zwei solche Nächte durchhalten könnte.
    Einige Zeit nach Monduntergang fühlte sie eine Wesenheit die Weide aufsuchen, diese kleine, ringsum dicht von jungen Kiefern umstandene Wiese. Kori saß in der Mitte wie eine Ratte in einer Grube. Eulenaugen beobachteten sie, Augen von durchdringendem Gelb. Wiederholt flog eine Eule um die von Kiefern umgrenzte Lichtung, die Spannweite der Schwingen schien weiter als das Gras zu reichen, und gleichzeitig flog die Eule rund um Korimenei, immerzu rundherum. Federn berührten sie, Flügel streiften ihren Kopf, die Schultern, sie konnte das Tier riechen. Sie erzitterte, ihre Knochen schienen zu Eis zu werden. Sie hörte die Eule etwas rufen, Stimmen sprachen in Koris Kopf, sagten irgend etwas zu ihr, doch sie konnte es nicht richtig verstehen.
    Plötzlich kauerte sie rittlings auf dem Rücken der Eule, die sich aufwärtsschwang, immer höher, bis sie hoch über der Weide schwebte. Kori blickte hinunter und sah ihren Körper ausgestreckt auf der Traumdecke ruhen, den Wickelrock wie ein Bündel neben ihrer Hüfte liegen. Sie war gleichermaßen aufgeregt und furchtsam. Die Eule kreiste stets noch höher, bis Kori unter dem Bauch des Vogels verstreut Lichtpunkte schimmern sah. Sterne, dachte sie, wir fliegen über den Sternen.
    Unvermittelt kippte die Eule in die Schräge. Kori rutschte von ihrem Rücken. Sie stürzte. Sie fiel und fiel, hinab, hinab, hinab fiel sie. Gepackt von Entsetzen, schrie sie laut. Sie schrie sich die Kehle wund.
    Unversehens befand sie sich wieder in ihrem Körper und schaute auf ins Gesicht Geidranays, eines geschrumpften Geidranays, dessen goldenes Fleisch zu menschlicher Gestalt gewordenem Sonnenschein glich.
    Der Gipfelkehrer berührte ihr Strickwams, und es zerfiel, entblößte ihre Brüste. Er grub seine Linke ins Erdreich und zog sie heraus, brachte einen Amethyst zum Vorschein, einen einzelnen Stein, der blau-violett funkelte. Er legte ihn über dem Herzen auf Koris Brustkorb, sah zu, wie der Kristall in ihren Leib glitt, sich durch Haut und Fleisch hineinschmolz. Er schob die Rechte in den Erdboden und holte auch sie gleich wieder hervor; diesmal hielt er einen Mondstein in der Größe von Koris Faust in der Hand. Während er die Zugschnüre ihrer Hose anstieß, öffnete sich das Kleidungsstück; Koris Nabel wurde sichtbar. Er steckte ihr den

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