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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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um ein Zwiebelpflänzchen Gras auszurupfen.
    Korimenei blähte die Nasenflügel, unterdrückte jedoch das Auflachen, das sich in ihrer Kehle regte; der Alte konnte, was seine Würde betraf, bei den unerwartetsten Gelegenheiten empfindlich sein. Sie streifte sich den Ranzen wieder über, wanderte weiter, folgte dem Verlauf des Pfads.
     
    3 In den oberen Bereichen war die kleine Alm von felsiger, karger Beschaffenheit. Vor ungefähr einem Jahrzehnt hatte ein Sturm einen uralten Nadelbaum gefällt, der seither auf dem Untergrund lag, inzwischen der Rinde entblößt, allmählich verrottend und mit dem Erdreich, aus dem er gewachsen war, wieder eins werdend. Der Greisenbach, hier oben schmaler und geräuschvoller, umrauschte den stämmigen Baumstumpf und das umliegende Wurzelwerk, zwängte sich am unteren Rande der annähernd runden Weide zwischen Findlingen hindurch und entschwand unter dem Schlottern des goldbraunen Laubs eines Forsts junger Zitterpappeln in die Schatten. Korimenei warf den Ranzen ab, stellte ihn auf den morschen Baumstumpf. Sie räkelte sich, streckte die Gliedmaßen, reckte sich in die Höhe, verharrte einige Augenblicke lang auf den Zehenspitzen, stieß dann einen heftigen Seufzer aus und kauerte sich nieder.
    Sie löste die Riemen, mit der sie ihre Traumdecke am Ranzen festgebunden hatte, schüttelte sie und breitete sie ins Gras. Gegen Ende ihres ersten Jahrs an der Schule hatte sie auf dem Sililier Markt Wolle gekauft, sie gefärbt und daraus eine Decke mit einem Traummuster gewoben, die sie seither, in Seide gewickelt, für den Tag aufbewahrt hatte, an dem sie sie brauchte, für den heutigen Tag. Sie setzte sich auf den Baumstumpf, betrachtete die spitzeckige Musterung und die leuchtenden Farben der Decke. Ich habe gute Arbeit geleistet, dachte sie, war mit sich zufrieden. Sie schnallte die Sandalen ab, schloß die Augen, bewegte die Zehen; die Erde unter ihren Fußsohlen fühlte sich kühl und seidigweich an, vermittelte ihr das seltsame Empfinden, zeitweilig vom Strom der Zeit abgesondert, ein Teil des Bergs zu sein. Ihre Gedanken schweiften ins Worte schmieden ab: Vergängliche Ewigkeit, ewige Vergänglichkeit ... Der Berg und das Leben, das auf ihm hauste, wandelten sich, fortwährendes Vergehen und Wiedererstehen herrschten. Kori seufzte erneut und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das was sie vorhatte. Sie nahm im Schneidersitz auf der Decke Platz, legte die Hände auf die Knie. Sie erinnerte sich an gestern…
     
    Shahntien Shere saß hinter ihrem Schreibpult und musterte Korimenei mit gerunzelter Stirn. Sie war eine hochgewachsene, magere Frau, die ihr üppiges graues Haar in einem lockeren Knoten im Nacken des langen Halses trug. Gekleidet war sie in ein schlichtes weißes Kleid mit engen Armein und hohem weichen Kragen, über das sie einen ärmel- und schmucklosen Überrock aus schwerer schwarzer Seide gezogen hatte. Gewöhnlich trat sie stets in dieser Kleidung auf, die wirksam ihr vornehmes Wesen betonte, gleichzeitig ihre Machtstellung unterstrich, ohne sie auf unangenehme Weise hervorzuheben. Plötzlich und unerwartet lächelte sie, die dunklen Augen verkniff sie in Winkeln, die sicli der Aufwärtskrümmung ihrer Mundwinkel entgegensenkten. »Die zehn Jahre sind vorbei«, sagte sie. »Doch das weißt du natürlich selbst. Du hast dich gut bewährt, besser als ich's vermutete. Maksim ist sehr mit dir zufrieden, obwohl er sich anscheinend scheut, dir seine Zufriedenheit persönlich kundzutun.« Sie schwieg für einen Augenblick, rieb ihre Finger aneinander. »Ich weiß nicht, welche Pläne er verfolgt, Kori. Ich gehe davon aus, daß er, sobald er bereit ist, aufkreuzen wird. Ich habe dich alles gelehrt, was ich dich lehren konnte.« Ihre Mundwinkel kerbten die Wangen tiefer, erzeugten eine Wiederholung ihres vorlierigen Lächelns. »Ich glaube, niemand hätte dich mehr lehren können. Alles andere liegt nun bei dir.«
    Korimenei faltete die Hände und betrachtete sie. Ihr fiel nichts ein, das sie hätte sagen können, also hielt sie den Mund.
    »Ja«, bekräftigte Shahntien Shere, »und das war's im wesentlichen, worauf es ankam.« Sie seufzte. »Nun zur Sache. Ich habe Schafgarbe, Wasser und Schildkrötenpanzer zu Rate gezogen sowie deinen Stammbaum untersucht. Die Menschen in deinem Heimattal sind ... äh ... auffällig frei von jeder magischen Begabtheit, ausgenommen solche Fähigkeiten, die der Angekettete Gott seinen Priestern schenkt, sie stehen jedoch mit dir in keinem

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