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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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breitete, lächelte er ein letztes Mal, strich ihr zum Abschied sanft über die Wange. Und dann war er fort.
    Kori schlief. Als sie erwachte, war es heller Vormittag. Der erste Tag und die erste Nacht waren vorbei.
     
    4 Anfänglich glaubte sie, die Ereignisse der Nacht seien ein Traum gewesen, doch als sie die Beine bewegte, hatte sie darin noch Beschwerden. Als sie sich aufsetzte, entfiel der Tuchpacken ihrer Hand; für einen langen Augenblick besah sie sich die Blutflecken, dann faltete sie es erneut zusammen und steckte es in ihren Ranzen. Sie fühlte sich mehr als nur ein wenig benommen. Mit dem Becher wankte sie zum Bach und füllte das Gefäß. Sie trank. Die Flüssigkeit war lediglich kaltes Wasser mit dem bitteren Geschmack nach Grünzeug, den das Naß der meisten Bergbäche hatte. Kori entsann sich an von Diamanten schmackhaftes und duftiges Wasser, aber das mochte tatsächlich nur ein Traum gewesen sein. Sie trank gemächlich Wasser und dachte ans Schlafen. Sie sollte nicht schlafen, sie hatte die Aufgabe, zu wachen und zu fasten. Den Eindruck, sich um ihren Schoß Sorgen machen zu müssen, hatte sie nicht. Nachdem sie den Becher geleert hatte, kehrte sie damit das schwache Gefälle des Abhangs hinauf zu ihrer Decke zurück und stellte ihn neben ihrem Fuß ins Gras. Sie schaute umher.
    Sonnenstrahlen erhellten die Weide in gleichsam abgestuften Schichten, ihr diesiger Schein fiel in zahlreichen Lichtkegeln durch das dunkle Nadelgeäst der hangaufwärts wachsenden Kiefern und Zedern; kein Lüftchen wehte, die Stille hatte etwas so Bedrückendes an sich, daß sie glaubte, sie könnte sie umittelbar auf der Haut spüren wie den schweren, gestrickten Wickelrock. Auch geistig fühlte sie sich ermattet; es bereitete ihr Schwierigkeiten, Wörter miteinander zu Sätzen zu verbinden. Sie wanderte auf zittrigen Beinen ein wenig durch die nahe Umgebung. Die Innenseiten ihrer Oberschenkel fühlten sich klebrig an, der Stoff ihrer Hose haftete an ihnen, löste sich, klebte erneut an. Kori schnitt eine Fratze, der Widerwille verursachte in ihrem Mund einen schalen Geschmack. Sie entkleidete sich, warf ihre Sachen auf die Decke und nahm ein Büschel Gras mit zum Bach. Sie watete hinein. Das Wasser reichte kniehoch, die Kälte war schauderhaft. Für eine Weile schlotterte Kori vor sich hin, dann bot sie alle Willenskraft auf und kniete sich ins Bachbett. Sie keuchte, untersuchte dann ihre Schenkel. Die Feststellung, daß sie stark geblutet hatte, überraschte sie, doch versäumte sie keine Zeit damit, sich deswegen zu beunruhigen. Sie spritzte Wasser auf die Blutkrusten, schabte sie mit dem Gras ab. Jede Bewegung drückte sie etwas tiefer in die Kiesel auf dem Grunde des Bachs, sie spürte das Schaben und Bohren an Knien und Schienbeinen, doch die Eisigkeit betäubte jedes Gefühl so weit, daß sie keinen Schmerz empfand, bis sie aus dem Wasser stieg, die Kleidungsstücke wieder anzog und sich ein bißchen aufzuwärmen versuchte.
    Als sie die Beine überkreuzen wollte, gab sie ein Brummen von sich; die Abschürfungen und Schrammen, die sie sich im Bach zugezogen hatte, machten sich nun bemerkbar, also schlug sie nur die Fußknöchel übereinander, richtete den Rücken kerzengerade auf und begann sich von neuem in einen Zustand der Meditation einzufühlen.
    Von überallher tauchten Fliegen auf und umschwärmten sie, ließen sich auf ihr nieder, krochen auf ihren Händen, Armen und Beinen, auf allen Körperteilen außer ihrem Gesicht; sie glichen einer beweglichen lebendigen Umhüllung aus Pechtropfen und Flocken von Katzengold, wie sie Kori in trägem, auf- und abschwellendem Tanz umkreisten und umsurrten, unentwegt auf- und abwärtssirrten, und haarfeine dünne Beine trippelten über jeden Fingerbreit ihrer Haut. Kori saß da und ließ alles geschehen. Als die Sonne genau über ihr stand, zerstob die Umhüllung aus Fliegen, das Getier zerstreute sich in sämtliche Himmelsrichtungen.
    Kori blieb sitzen. Irgend etwas geschah in ihrem Innern. Sie verstand es nicht im entferntesten, doch hegte sie Befürchtungen, über die sie gar nicht nachdenken mochte.
    Unter den Bäumen am anderen Ufer des Bachs stand plötzlich eine einbeinige Frau. Aus ihren Schultern wuchsen Ranken, umwallten sie. Ihre linke Seite bestand aus Leere: Die Ranken wehten, teilten sich, offenbarten ein Nichts. An ihrer rechten Seite schlangen sich die Ranken um das eine Bein. Sie tat einen Hüpfer. Stand still. Hüpfte noch einmal. Die Ranken sprangen auf

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