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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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und nieder. Mit ausgebreiteten Armen hüpfte sie auf ein und derselben Stelle auf und nieder, drehte sich während des Hüpfens immer schneller um sich selbst. Korimenei hörte ein Surren, als sängen die Fliegen der ganzen Welt im Chor. Die Erscheinung der Frau wurde nebelhaft, und die Nebelerscheinung flimmerte davon ins trübe grüne Zwielicht unter den Bäumen.
    Korimenei dachte über diesen Vorfall nach. Sie schob die Hände unter ihr Strickwams und berührte die Stelle, wo der Amethyst sich in ihren Körper gesenkt hatte. Ihre Haut war kühl und trocken; nichts zeigte an, daß es wirklich so gewesen war; sie zog die Hand aus dem Wams, legte sie auf die leichte Wölbung ihres Bauchs; nun hatte sie das Empfinden, als könne sie spüren, wie in ihr etwas wuchs, mit einer Geschwindigkeit wuchs, die sie auf nicht näher begründbare Weise erschreckte. Sie nahm die Hand weg, schloß die Lider und summte vor sich hin. Nach einer Weile entschied sie sich für eine Melodie aus Harras Liedgut, ein Eulenlied, summte es mit vollkommener ungeteilter Hingabe.
    Ungefähr um die Mitte des Nachmittags kam zwischen den Bäumen am jenseitigen Ufer des Bachs eine andere Frau hervor; genauer gesagt, sie kam hervorgekrochen. Sie krauchte auf dem Bauch wie ein großer, weißlicher Wurm; von der Hüfte bis zu den Zehen ähnelten ihre Beine einer weichen Masse; in Wahrheit allerdings hatte sie gar keine Zehen, die Beine endeten, geradeso wie bei einer Klapperschlange, in Rasseln. Die vordere Hälfte ihres Körpers reckte sie empor, vollführte mit Armen und Schultern Tanzgebärden, machte mit den Rasseln ihrer Beine dazu die Musik. Sie hatte Hörner wie ein schwarzer Büffel, die Hörner glänzten blank wie Elfenbein und übertrafen an Spannweite die Arme der Frau. Ihr Gesicht war breit, Nase und Mund besaßen Ähnlichkeit mit dem Maul eines plattgesichtigen Hunds. Sie hatte spitze Ohren, die sich — als Teil des Tanzes — unabhängig voneinander bewegten. Die Haare auf ihrem Kopf sahen wie schwarze Borsten eines Besens aus und hingen steif zu beiden Seiten des Gesichts herab. Die Achselhaare waren rauh und zottig wie Tang, baumelten bis unter die schlaffen Brüste auf die Rippen, gegen die die Brüste schlugen. Entsetzliches ging von ihr aus, als ob sie Rauch verströmte, sie emanierte unsichtbare Schwingungen, die die annähernd rundflächige Weide erfüllten und Kori mehr und mehr, immer stärker, in sich selbst zusammenpreßten.
    Bevor Kori vollständig einschrumpfen konnte, versank das Weib im Erdboden und verschwand auf diese Weise.
    Die Sonne sank. Korimenei hielt nach Geidranay Ausschau, aber in der heutigen Abenddämmerung ließ er sich nicht blicken; Kori war traurig, sie fühlte sich einsam. »Tre«, sagte sie laut. »Trago, Bruder, sprich mit mir!« Doch auch er blieb ihr fern. Allein saß sie im immer düstereren Abenddunkeln, während irgendein Ding in ihrem Leibesinnern wucherte.
    Sie drehte und wendete die Hände, starrte in die Handflächen. »Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte sie, auch diesmal laut. Die Kristalle waren eine Art von Augen und Ohren, mit denen man die Dinge unter oder hinter den Dingen wahrnehmen konnte, die bei gewöhnlichem Licht niemand erkannte. In den Büchern, die Shahntien Shere aus allen Gegenden der Welt für ihre Bücherei besorgt hatte, gab es darüber einiges zu lesen. Zudem hätte Kori von Wandergelehrten, die Shahntien Shere bisweilen auf dem Vorplatz des Tempels ausgewählte Schüler belehren ließ — solche ihrer Schüler, von denen sie annahm, daß das Kennenlernen anderer Zeichendeutungen, fremder Vorstellungen ihnen von Nutzen sein könnte —, dies und jenes über sie gehört. Manchmal waren es keine Kristalle, sondern Wurzeln oder Blumen, Insekten oder Innereien von Tieren. Offenbar kannte man also in der gesamten Welt derartige Rituale, wenngleich sie sich in den Einzelheiten unterschieden. Die Fliegen ... Korimeneis Gedächtnis hatten sich gut zwei Dutzend vergleichbarer Vorgänge eingeprägt, deren jeder auf mindestens dutzenderlei Weise gedeutet werden konnte, für den neuen Eingeweihten eine Bedeutung, für denselben Menschen, sobald er sich als fortgeschrittener Zauberer betätigte, einen anderen Sinn, und später, wenn er im Herbst des Lebens stand, wiederum eine abgewandelte Bedeutung hatte. Zwischen den zwei Frauen, die Kori erschienen waren, bestand kein ohne weiteres ersichtlicher Zusammenhang, doch beide hatten ihr Furcht eingeflößt, hatten beide den Ruch von

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