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Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Brann 03 - Das Sammeln der Steine

Titel: Brann 03 - Das Sammeln der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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männliches Kitz schmiegte sich an. Durchs Gras schritt der Hirsch zu der Hirschkuh; er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte die Finger auf seine Hand. Dann tanzten sie eine langsame stattliche Pavane, drehten sich umeinander, trennten sich, bewegten sich aufeinander zu, erst von Angesicht zu Angesicht, dann Rücken an Rücken. Der Tanz dauerte an. Korimenei hätte eigentlich frieren müssen, fror aber nicht. Hoch am Himmel schwebte verwaschen ein unversehrter Mond, größer als der Mond, den sie kannte, es war ein weißlicher Vollmond mit Spuren von Blau, als wäre er ein helles, großes Rad Käse. Die Bäume ringsum standen bleich wie Gebein und starr wie Stein, obwohl sie keineswegs abgestorben waren; Korimenei konnte in ihnen starke Lebenskraft spüren. Das Gras war dicht und kurz, dunkel wie das Fell eines Silberfuchses.
    Der Tanz veränderte sich, wurde wilder. Der Hirsch kam zu Kori, ergriff ihre Hand, bezog sie mit in den Tanz ein. Zu dritt drehten sie sich einer um den anderen, gingen auf Abstand, näherten sich einander, zuerst von Angesicht zu Angesicht, danach Rücken an Rücken.
    Korimenei hatte nicht die geringste Vorstellung von der Dauer des Tanzes, sie ermüdete nicht, sie war eins mit den Bewegungsabläufen und empfand lediglich eine Art gelassener Freude.
    Schließlich wichen Hirsch, Hirschkuh und Kitz zurück. Sie sanken auf alle viere und entfernten sich, durchquerten den Bach und verschwanden auf dem anderen Ufer zwischen den Bäumen. Den Fluß gab es nicht länger, oder vielmehr hatte er sich zu dem verengt, was er zuvor gewesen war, bevor die Hirschkuh erschien. Kori stand auf der roten Erde der Weide; sie trug wieder Hose, Strickwams und Mantel. Sie suchte ihre Decke auf, nahm Platz, zog sich den Wickelrock eng um die Schultern. Sie tastete ihren geschwollenen Leib ab, verspürte jedoch keine Furcht mehr. Irgend etwas würde daraus werden, aber nun kannte sie den Tanz, und nichts vermochte ihr etwas anzuhaben, es sei denn, sie ließ es zu. Hinter ihr färbte sich der östliche Himmel in hellem Rosarot.
    Der zweite Tag und die zweite Nacht waren durchgestanden.
     
    5 Korimenei litt nicht länger Hunger. Sie fühlte sich ausgelaugt, ihr schwindelte, sobald sie den Kopf bewegte. Auf weitere Gesichte oder Erscheinungen legte sie keinen Wert mehr, am liebsten hätte sie weitere Heimsuchungen ihres Fleischs oder Geists vermieden. Sie verweigerte sich jedem Gedanken, sie verdrängte aus ihrem geistigen Auge alles, was sie nicht mit den Augen in ihrem Kopf sah, und das beschränkte sie auf das Muster der Traumdecke zwischen ihren Knien. Ihr Leib schwoll immer stärker an. Sie achtete gar nicht darauf. Die Blase tat ihr weh. Auch das beachtete sie nicht, solange sie es durchhalten konnte, kroch erst in das Gebüsch, das sie als Abtritt benutzte, als es sich nicht länger hinauszögern ließ. Auf dem Rückweg zupfte sie eine Handvoll Nadeln von einer Kiefer, rollte sie zwischen den Handflächen hin und her, zermalmte sie, um ihnen den puren, bitteren Kiefernduft abzupressen. Sie warf die Reste fort, als sie den Rand der Lichtung erreichte, wischte sich die Hände an den Hüften sauber. Sie setzte sich wieder auf die Decke und vertiefte sich erneut in ihr Traummuster.
    Der Tag zog sich zäh hin. Nichts geschah.
    Kori mochte über nichts nachdenken, am wenigsten über die Vorkommnisse und Erscheinungen der beiden vergangenen Nächte, doch konnte sie fühlen — tief in ihrem Innersten —, wie diese Erlebnisse sich selbsttätig abklärten, einordneten. Das Etwas, das in ihr heranwuchs, machte eine ähnliche Festigung und Beruhigung seiner Kräfte durch; still und friedlich ruhte es in ihrem Leib. Es lebte, daran gab es nicht den kleinsten Zweifel; es glühte wie ein Eisenöfchen mitten im Winter, jedoch nicht von Hitze, sondern von einer kühlen Machtfülle, wie sie weder die Hirschkuh, noch der Hirsch hatten vorweisen können. Es schien, als nistete die große Eule im Bauch Korimeneis.
    Nichts ereignete sich; in einer Verfassung irgendwo zwischen Schlummer und Wachsein wartete Kori das Verstreichen des restlichen Tages ab.
    Am westwärtigen Himmel senkte sich die Sonne hinab auf den Horizont. Kori sah goldene Feuerdrachen sich um die Sonne winden, sie waren dermaßen schön, daß sie für ein Weilchen weinte; still und ohne Pein weinte, dann lächelte sie.
    Geidranay kam die Berggipfel entlanggeschlendert; er verhielt, als er sich zwischen der untergehenden Sonne und Kori befand, hob eine Hand zum

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