Brann 03 - Das Sammeln der Steine
über den kleinen, runden Kopf ihrer Nichttochter, die einer Gerte vergleichbare Wirbelsäule, den Peitschenschwanz. Unablässig streichelte sie das Geschöpf, fand Vergnügen an der hochfeinen, seidigen Weichheit des kurzen, grauen Pelz' der Mahsar, der Wärme des winzigkleinen Körpers. »Mahsar, Mahsar, Mahsar...« Tonlos sang sie den Namen der Art, der das Wesen angehörte, machte die Bezeichnung gewissermaßen zu einem Mantra. »Mahsar, Mahsar, Mahsar ...«
Zu guter Letzt hielt sie die Hände still und saß in tiefer Einheit mit Luft und Erde nur noch versonnen da. Zeit verstrich. Die Wolken ballten sich immer dichter zusammen. Regen fiel, jedoch lediglich als schwaches Nieseln, das mit zeitweiligen Böen herabrieselte, sich in perlengroßen Tropfen auf jeder Fläche niederschlug.
Als sie ziemlich ausgekühlt war und feucht, kehrte sie allmählich aus ihrer Entrückung wieder, schlang sich den Wickelrock um Kopf und Schultern. Sie hüllte auch die Mahsar hinein, lächelte verträumt, als der Winzling sich mit Behagen in die Falten kuschelte, ein Schnurren wie von einer kleinen Säge vernehmen ließ. »Ailiki«, sagte sie ganz plötzlich. »Das ist dein Name, Nichttochter. Ja, Ai-li-ki ... Ailiki. Jawohl.« Mit einer Gewißheit, die an Betroffenheit grenzte, sie aus ihrer Unbekümmertheit schreckte, erkannte sie, daß sie den ersten Namen aller der Namen entdeckt hatte, die sie während des Rests ihres Lebens kennen würde, das erste große Wort all der Wörter, die ihr jemals bekannt sein sollten. Sie strich mit dem Zeigefinger über Ailikis Schädelwölbung, die Schulter und ein Ärmchen hinab bis zu dem mit drei Fingern versehenen, schwarzen Händlein. Ailiki streckte die Hand aus und umklammerte Korimeneis Finger. Kori lachte. »Wörter«, sagte sie laut. »Weißt du, ich glaube, ich werde eine Zauberin sein. Vielleicht sogar eine Große Zauberin.« Sie lachte noch einmal, unterbrach das Lachen, als es in ihren Ohren einen sonderbaren Klang anzunehmen begann. Sie schüttelte sich nasses Haar aus dem Gesicht. Ihre Hände fühlten sich warm an. »Du bist wie ein kleiner Ofen, Ailikilein, ei-ei-jei ...!«
Später streifte sie den Wickelrock ab und hob die Miene den unsichtbaren Wolken entgegen. Tröpfchen des Geniesels wehten ihr ins Gesicht, verdampften sofort. Wärme floß ihr zu wie ein unversiegbares Rinnsal, strömte aus den inwendigsten Grundfesten der Erde in sie empor. Unbesorgt saß sie an ihrem Platz, gab ihrerseits ab, was ihr zufloß, bis die Kraft, die sie verstrahlte, die Luft rings um sie taghell machte, ihre Gestalt sonnengleich leuchtete, als wäre sie ein von Feuer durch-lohtes Mädchen aus Glas.
Die Hitze verstärkte sich, das Rinnsal wurde zu einem wahren Kraftstrom. Kori strahlte alles wieder ab, doch bald schien die Luft rund um sie zu glühen, die Glutschwälle, die von Koris Körper ausgingen, erfaßten die Bäume, und unvermittelt befürchtete sie, die Kiefern könnten Feuer fangen und brennen, wie sie brannte. Sie versuchte den Zustrom unter ihren Einfluß zu bringen, ihn so zu vermindern, daß sie ihn in ihrer Gewalt hätte, doch bereits der Versuch einer Bändigung genügte, um den Zufluß — ganz im Gegenteil — gar noch mehr zu verstärken. Sie wimmerte, erlaubte sich diese geringfügige Äußerung ihrer immer spürbareren Beklommenheit, während sie sich unter Aufbietung aller Willenskraft um ein Lenkenkönnen und — das war noch wichtiger — ein Begreifen des Kraftstroms bemühte. Sie erkannte in der Einschätzung ihrer Möglichkeiten den Schlüssel zu ihrer Zukunft. Was sie jetzt zuließ, bestimmte den künftigen Umfang der Nutzung ihrer Fähigkeiten. Schlimmstenfalls konnte sie zu Asche verbrennen ... Nein-nein, im schlimmsten Fall würde sie eine mittelmäßige Magierin werden, ein Schicksal, dem sie den Tod vorzöge. Im günstigsten Fall bot sich ihr eine Gelegenheit, Settsimaksimin ebenbürtig zu werden. Ihm alles entringen zu können, was er verkörperte, was er wußte. Sie wünschte sich, dazu imstande zu sein. Dessen bedurfte sie.
Mit aller Macht stemmte sie sich gegen den Kraftstrom. Sie roch versengtes Haar, die Decke unter ihr schwelte. Nicht so, nein, nein ... Etwas anderes als Beherrschung hatte sie nicht gelernt, für Shahntien Shere stand das Beherrschen der magischen Veranlagung völlig im Vordergrund. Shahntien Shere jedoch hatte ihre Grenzen, sie war eine Magisterin der Magischen Künste, keine Zauberin, zwar unerhört gelehrt, aber befangen in ihrer
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