Brann 03 - Das Sammeln der Steine
tanzten, Taschendiebe, Beutelschneider, Schwindler, Vertreiber von Magie-Lehrbüchern, Verkäufer von Schatzkarten und etlichen andersartigen falschen Sonderbarkeiten, Geldverleiher und Zuhälter, Laienbettler und Bettelmönche, Prediger, Yogis und Fakire in Haltungen außergewöhnlicher Verrenktheit, Tänzer, Jongleure, Akrobaten und sonstige Schausteller, Familien beim Nachmittagsausflug, die lediglich das abwechslungsreiche Hin- und Herwogen, das mannigfaltige Schauspiel des Marktbetriebs sehen wollten, auch Schüler, die sich für ein Stündchen vor der strengen Zucht des Unterrichts drückten, sowie Tempelbesucher mit ernsten Anliegen bevölkerten den Platz, Menschen aus allen Gegenden der bekannten Welt: Hinaische und temuengische Einheimische, Bewohner des Westens (Phrasi, Suadi, Gallinasi, Eirsan, Henerer), Südländer vom Fernen Erdteil (Harpish, Vioshyn, Fellhiddin, M'darjin, Matamulli), Insulaner aus dem Osten (Croaldhesen, Djelaaner, Panday, Pitnajoggresen) sowie Angehörige sonstiger Völker aus so entlegenen Ländern, daß nicht einmal der Tempel sie alle kannte, samt und sonders besuchten sie den Großtempel zu Silili, den Mittelpunkt der Welt, die Stätte-da-alle-Götter-sprechen.
Korimenei und Firtana drängten sich ins unentwegte Gewimmel und Durcheinander und bahnten sich eine Gasse zum Tempel. Ein Taschendieb, dessen Aufmerksamkeit die Ausbeulung der Seitentasche Koris erregt hatte, rempelte sie an, unterdrückte im nächsten Augenblick einen Schmerzensschrei, als Ailiki ihn biß, dann ließ er sich vom Menschengedränge aus ihrer Nähe schieben. Frit grinste, wackelte in einer Andeutung tänzerischer Bewegungen mit den runden Hüften, hob den Daumen. Kori schüttelte über sie den Kopf, die verfehlte Zuversicht des Taschendiebs und der Übermut ihrer Freundin belustigten sie. Um Münzen in einer unverschließbaren Tasche mitzutragen, war sie nun wirklich zu klug. Durch die Menschenmenge schlängelten sie sich bis zu den breiten, niedrigen Stufen des Tempels durch und betraten ihn durch die riesigen Torbogen.
Sie steckten Münzen in den Schlitz eines Sammelkastens und nahmen von einem Tempelschüler Räucherstäbchen entgegen. Firtina entzündete ihre Stäbchen und teilte sie auf zwischen Isayana und dem Erdgott Erdoj'vak ihrer Heimat. Sie machte ein, zwei Verbeugungen, begleitete anschließend Kori von Geidranay zu Isayana und zuletzt in die Nische mit Tungjiis Standbild. Kori stellte ihr letztes Räucherstäbchen in das Räuchergefäß zwischen den nach oben gekehrten Zehen Tungjiis, rieb dann ihm/ihr den Bauch, um sich ein gerüttelt Maß an Glück zu sichern; kurz entsann sie sich an ihre Prüfung, verscheuchte jedoch rasch die beunruhigenden Erinnerungsbilder aus ihrem Bewußtsein, lachte und folgte Frit zurück ins Freie, ins Helle.
Sie streunten kreuz und quer über den Markt, kauften Wolle und Seide, Leinen und Baumwolle; Frit übernahm das Verhandeln, und Kori unterstützte sie dabei, so daß sie zu zweit gleichermaßen vernehmlich wie nachdrücklich feilschen konnten. Danach war ein Besuch bei einer Schneiderin an der Reihe, Maß wurde schnell genommen, es schloß sich ein längeres Hin und Her über Zuschnitt und Kosten an. Dann suchten sie einen Schuhmacher und eine Handschuhmacherin sowie — um Seife, Salben und Duftwasser zu erwerben — einen Seifensieder auf; und zum Schluß einen Sattler, weil Kori Taschen brauchte, um alles auf Reisen mitführen zu können.
Nachdem sie die Einkäufe erledigt hatten, begaben sie sich zum Tee ins Rannawai Harral und schauten sich den Sonnenuntergang an. Geidranay hob sich als goldener Schatten gegen die Sonne ab, hockte zwischen den Berggipfeln, seine Finger stocherten zwischen den Kiefern; für eine kurze Weile wand sich ein durchscheinender Sonnendrache über den Horizont, verschwand zuletzt hinter einer tiefhängeneden, flachen Wolkenbank; jenseits der Woda-an-Wohnboote tauchte Godalau aus den Meeresfluten auf, tummelte sich in den Wogen, ihre langen, weißen Finger glänzten in den letzten Sonnenstrahlen rötlich, ihr kecker Fischschwanz glitzerte, als bestünden die Schuppen aus Plättchen von Jade.
»Die Götter sind heute abend emsig.« Firtina äußerte sich in geruhsamem Ton, drehte den Teebecher in ihren nicht allzu langen, aber geschickten Fingern unentwegt rund- und rundherum. »Seit dem Neujahrsfest habe ich nicht wieder so viele auf einmal gesehen.«
Korimenei schlürfte Tee und schwieg. Die Prüfung nahm nach und nach in ihrem
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