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Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
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Schenkeln. Niemals hätte er gedacht, dass es hier unten im Süden so kalt sein konnte. Der Raureif auf dem Deck glänzte, als habe jemand Katzensilber ausgestreut. Er sah zum Himmel empor und maß den Abstand zwischen dem Gürtel des Orion und dem Großen Wagen. Es war noch nie seine Stärke gewesen, die Jahreszeiten anhand der Sternbilder zu erkennen. Um so etwas hatte sich immer Turvi gekümmert. Und Hagdar hatte stets den Nordstern im Auge, wie hoch er am Himmel stand und wie stark er leuchtete. Hagdar konnte so viel. Er sollte jetzt hier sein, dachte Bran. Und wenn er nur die Sterne lesen würde.
    Tarbas Lachen drang mit dem Rauch nach oben.
    Bran verdrängte alle Gedanken und lauschte, wie es ein Jäger immer tut, wenn alles andere still ist.
    »Du bist ein junger Mann, Virga. Aber lass mich dir erklären…« Noch immer war es Tarba, der sprach. » Hier in den Bergen gibt es Öl, so ein Öl, das wir auf unsere Langschiffe malen, wenn es uns gelingt, etwas von Old-Myre einzutauschen. Die Arborger behaupten, dass die Löcher im Boden zu unterirdischen Ölquellen führen. Deshalb brennen sie ewig.«
    »Es sind Cernunnos’ Flammen.« Keers grobe Stimme mischte sich ein.
    Dann wurde es still, und Bran hörte das Geräusch von Zähnen, die sich in Fleisch schlugen, und das Schmatzen von Mündern. Einer von ihnen rülpste, und das war das Signal, dass das Gespräch fortgesetzt werden konnte.
    »Sag mal«, meinte Nangor. »Bin nur ich der Meinung, dass er ihm ähnlich sieht?«
    Die Tirganer murmelten etwas. Bran zweifelte nicht daran, wen sie meinten.
    »Er sieht ihm ähnlich«, räusperte sich Tarba.
    »Ja.« Keer spuckte, und dann zischte es im Feuer. »Irgendetwas mit den Augen. Er kam mir schon beim ersten Mal, als ich ihn gesehen habe, so bekannt vor, aber jetzt, da ich das Götterbild gesehen habe, weiß ich, an wen er mich erinnerte.«
    Wieder schmatzten sie.
    »Aber das ist doch gut, nicht wahr?« Nangors Stimme durchschnitt die Essensgeräusche.
    Bran zog sich die Mütze vom Kopf, um besser hören zu können.
    »Eine gute Sache«, murmelte Tarba. »Oder auch nicht. Das wird der Winter zeigen.«
    Bran schlich sich zur Reling. Dann drehte er sich erneut zur Luke um, stampfte schwer über das Eck und hustete. Virga steckte den Kopf heraus und lächelte ihn mit seinem jungen Gesicht an.
    »Wir haben ein Feuer angemacht, Tileder. Ich hab noch Essen für dich aufgehoben, und Tarba hat was zu trinken.«
    Mit der Autorität, die er gelernt hatte, ihnen gegenüber an den Tag zu legen, wies er ihn an, wieder nach unten zu gehen, und kletterte dann selbst die Leiter hinunter. Die Männer machten zwischen sich am Feuer Platz, reichten ihm den Weinschlauch und eine Hand voll Fleisch. Keer holte seinen Wetzstein hervor und begann seinen Dolch zu schärfen, Tarba lehnte sich in den Schatten zurück, und Nangor, der eine solche Stille an einem Schiffsfeuer nicht ertragen konnte, begann zu singen.
     
    Als die Morgensonne über den weißen Raureif an Deck und die steif gefrorenen Taurollen schien, waren Brans Männer bereits lange auf. Sie hatten in dieser Nacht gut geschlafen. Die Wellen hatten sie in den Schlaf gewiegt und ihnen eine Ruhe gegeben, die nur das Meer schenken kann. Als die Nacht am dunkelsten war und der Nebel schwer zwischen den Klippen hing, schabten die Schiffe der Tirganer jedoch wieder über den Sand. Das Wasser hatte sich zurückgezogen, und die Schiffsrümpfe legten sich wie sterbende Riesenseehunde auf die Seite. Die Tirganer drehten sich auf ihren Schlafplätzen um, schlangen die Decken um sich und warteten ungeduldig auf den Morgen. Sie waren Männer des Meeres, und die Gezeiten, die Frauen und all das andere, was mit dem Mond verknüpft war, ließen sie unruhig werden.
    Nangor saß an der Feuerstelle, als der Ruf zwischen den Klippen erschallte. Er hatte die Glut ausgegraben und wärmte seine Hände im Sand. Er kletterte die Leiter empor und öffnete die Luke. Erneut ertönte der Ruf:
    »Die Old-Myrer kommen!«
    Jetzt krochen auch die anderen Männer unter ihren Fellen und Decken hervor. Virga kletterte hinter Nangor nach oben und rutschte auf dem gefrorenen Deck aus. Hinter ihm folgten die Katzenbrüder mit weit aufgerissenen Augen. Sie stiegen über die Reling und sprangen in den Sand. Nur Tarba nahm sich die Zeit, auf Bran zu warten.
    »Beeil dich, Tileder! Wir müssen hinauf und uns die Old-Myrer ansehen.«
    Bran kroch in den Lichtkegel unter der Luke. Sein Nacken war verkrampft und schmerzte.

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