Brans Reise
gegenüberzutreten.
Zuerst bemerkte er die Stille. Draußen hatten die Straßen einen Geräuschteppich gewoben, hier drinnen war alles ruhig. Er ging zwei Schritte über die Steinplatten hinein und blieb stehen, während sich seine Augen an das Dunkel gewöhnten.
Ein Windhauch fand den Weg durch die Tür. Er spürte es an Haaren und Händen. Es hallte von den Wänden wider und wurde zu Stimmen, die unter dem steinernen Dach seufzten. Denn jetzt nahm er die Decke des Raumes wahr. Sie war wie die anderen Säle mit Steinplatten verkleidet, aber die Steine waren anders. Das Dach glänzte silbern. Diejenigen, die diesen Saal dereinst erbaut hatten, hatten die schönsten Steine für diesen Saal aufgespart.
Die Stimmen des Windes sammelten sich an einem Ort vor ihm. Sie sangen ihn nach vorn.
Bran schloss die Augen. Schweiß rann über sein Gesicht. Er hörte seinen eigenen Atem, wie die Dünung des Meeres.
Sieh mich…
Er spürte die Worte in seinem Mund, doch nicht er war es, der sprach.
Gewartet…So lange…
Die Stimmen des Windes hatten sich jetzt zu einer gebündelt, die seinen Mund öffnete, mit seiner eigenen Stimme sprach. Er taumelte weiter, Schritt für Schritt. Die Stimme war in ihm. Sie brannte in seinen Adern.
Bald… Bran rang nach Luft, denn die Stimme drohte ihn zu ersticken. Bald… Er warf seinen Kopf nach hinten. Wiedergeboren.
Da ließ ihn die Stimme los. Sie ließ ihn sehen.
Bran stand zwischen den Flammen der ewigen Lichter; an jeder Seite leckten Feuerzungen aus breiten Löchern im Steinboden. Er sah die Schatten, die über die Steinwand und die drei Mann hohe Gestalt flackerten. Sie loderten auf und streckten sich bis zur Decke des Raumes empor. Das Bild des Gottes lebte. Der, der das Geweih trägt, trat aus dem Dunkel.
»Cernunnos…« Er fiel auf die Knie. Er atmete, kämpfte gegen seine eigene Schwäche an. Die Krallen packten ihn jetzt, doch er ließ sie nicht gewinnen. Er blickte auf, und da war der Gott wieder ein Bild, das an die Steinwand gemalt worden war. Dieses Bild aber war so lebendig, dass es sich von der Wand loszureißen schien, um in den Raum zu treten. Diese Gestalt war stark genug, die Steine, die sie festhielten, zu zerschmettern. Der Körper war drahtig, vernarbt und schwer vor Kraft, und sogar die Adern waren dick wie Schlangen. Der Gott hatte das eine Bein vor das andere gestellt, als wanderte er. Ein Bärenfell hing über seine Schenkel herab, es war das einzige Kleidungsstück, das er trug. Seine Arme streckten sich, etwas vom Körper abgewinkelt, nach unten. Aus seinem rechten Arm rann Blut. Der linke schöpfte Wasser aus einem Meer.
Bran spürte die Tränen auf seinem Gesicht. Die Krallen schlugen derart fest zu, dass sein Kopf zu zittern begann. Sie wollten ihn das nicht sehen lassen, doch er hatte sie bereits besiegt. Denn jetzt sah er den kräftigen Haarschopf auf dem Kopf des Gottes und das zwölfendige Hirschgeweih. Es wuchs aus seinem Schädel heraus, verankert mit zwei Wurzeln, die über seine Schläfen um die Augenhöhlen herumführten und an den Wangenknochen endeten. Der Mund war ein wenig geöffnet, als sagte er etwas, und die Augen starrten lebendig auf ihn herab. Bran spürte diese Augen. Er kannte dieses Gesicht, das sich hinter all seiner Unmenschlichkeit verbarg. Es war das gleiche Gesicht, das er in der Eisenplatte in Tirs Kammer gesehen hatte.
Die Seeschlacht
S timmen und Hammerschläge ertönten zwischen den Klippen. Die Langschiffe wogten in dem Gezeitenstrom, der an den Felsen seufzte und die Schiffskörper immer höher hob. Im Osten hing der Mond über dem Rand des schwarzen Landes. Die silberne Sichel strahlte über das Meer und gab den Tirganern in der Bucht Licht. Seit Sonnenuntergang waren sie mit dieser, ihnen nur allzu bekannten Arbeit beschäftigt. Die Skerge hatten eine Hand voll Männer aus jeder Mannschaft beauftragt, die Schiffe klarzumachen. Die Old-Myrer wurden am nächsten Tag erwartet. Und so waren die Tirganer in das steigende Wasser hinausgewatet, an Bord geklettert und hatten mit den uralten Ritualen begonnen, das jedes Schiff vor einer langen Kriegsfahrt über sich ergehen lassen musste. Sie hämmerten auf die Bolzen, die die Rumpfbalken zusammenhielten, kletterten in die Masten und zerrten an den Tauen, um zu überprüfen, ob einige davon brüchig waren. Die Segel wurden vom Querbaum gelöst und auf Deck entrollt, und dann kamen die Knochennadeln zum Vorschein, um die Risse zu flicken, die der Wind den
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