Brans Reise
rasteten sie an dem kleinen See, und dann saß er gemeinsam mit den anderen da und zählte, wie viele Wasserlilien sich geöffnet hatten. Doch als sich seine Augenlider öffneten und er die graue Steindecke erkannte, wusste er wieder, dass es lange her war, seit er das letzte Mal im Gebirge gewesen war. Er erinnerte sich an das Meer und all das, was geschehen war. Und er erinnerte sich an Tir.
»Dielan?« Seine Stimme war leise und klang schmerzerfüllt. »Bist du da?«
Er tastete über seine Brust hinunter zu seinen Beinen, doch er fand keine Waffe. Er war nackt und er spürte, dass er flüchten musste.
Dann war sie da. Sie beugte sich über ihn. Ihr Mund war vor Überraschung geöffnet. Sie befühlte seine Stirn, während sich ihre andere Hand auf den verwundeten Arm legte.
»Tir«, sagte er. »Du bist Tir. Ich habe dich gesehen. An dem steinernen Altar. Du hast mich aus dem Dunkel zurückgeholt.«
»Du warst krank.« Sie breitete eine dünne Decke über ihn. »Du wärst fast gestorben. Aber du bist wieder gesund geworden, mit Cernunnos Gnade.«
Bran drehte sich auf die Seite, so dass er sie besser sehen konnte. Sie trug einen langen Rock und eine kurze Jacke. Ihre Arme und ihr Bauch waren nackt. Er versuchte, an ihr vorbeizusehen; dort, ganz am Ende des Steinbodens, war eine Öffnung in der Wand. Nur der Himmel war zu sehen.
»Wo bin ich?« Er drehte sich wieder auf den Rücken.
»In Tirga. Einer Hafenstadt in Ar.«
Bran erinnerte sich an diesen Namen. Ar war eines der Sieben Reiche. Er drehte den Kopf zur Seite und bemerkte, dass er auf einer Art Gestell über dem Boden lag. Es war ein Bett, glaubte er; über so etwas hatten die Händler gesprochen, wenn sie ihre Schlafplätze in der Felsenburg gesehen hatten.
»Wo sind Dielan und Gwen?«
»Sie haben ein Lager auf der Brachfläche aufgeschlagen.« Sie zog einen Stuhl zum Bett und setzte sich hin. »Du solltest dich jetzt ausruhen. Du bist schwach.«
Bran fühlte sich nicht schwach. Ihm war übel vor Hunger, und sein Nacken war steifer, als er es jemals gewesen war, doch in seinen Adern pulsierte Kraft.
»Warum bin ich nackt? Hat jemand meine Kleider gestohlen?« Er zog seine Beine an und versuchte, sich die Decke unter die Hüfte zu schieben.
»Nein«, sagte sie lächelnd. »Aber ich musste deine Wunden versorgen. Du hast bei dem Zweikampf viele Stichwunden abbekommen. Es war Gift in ihnen. Deshalb bist du so lange krank gewesen.«
Bran rollte sich auf die Seite und stellte seine Füße auf den Boden. Er kümmerte sich nicht darum, dass sie ihren Arm um ihn legte, sondern wickelte sich die Decke um den Rücken und stand auf.
»Ich kann nicht hier sein. Ich muss zu meinem Volk.« Er erblickte die Tür und taumelte auf sie zu. Dann kroch die Kälte des Steinbodens in seinen Kopf hinauf und seine Knie gaben nach. Doch sie war da und stützte ihn.
»Du musst essen.« Sie nahm ihm die Decke ab und legte ihn zurück aufs Bett. »Ich werde Kleider für dich holen und einen Boten zu Dielan schicken.«
»Der Königssohn! Ich muss ihn töten!« Bran griff nach seinem nicht vorhandenen Messer. »Er darf sie nicht bekommen!« Er rang nach Atem, und die Erinnerung an den Kampf, die so klar vor ihm gestanden hatte, wogte davon. Sie berührte ihn. Ihre Hände waren so kühl auf seiner Stirn. Sie holte Wasser aus einem Eimer und ließ ihn aus einer Kelle trinken.
»Du bist so freundlich«, sagte er. »Warum bist du so nett zu mir?«
»Ich bin eine Galuene.« Mit einem Tuch wischte sie das Wasser weg, das über seine Wangen geronnen war. »Es ist meine Aufgabe, die Kranken wieder gesund zu machen, wenn Cernunnos es will.«
Bran sah zu ihrem Gesicht hoch. Sie wirkte verändert. Sie sah viele Winter älter aus als die Sklavin, die Sar ihm gegeben hatte.
»Du musst essen«. Sie stand auf. »Ich bin bald zurück.«
Er folgte ihr mit den Augen bis zur Tür. Dann schob sie sie auf und verschwand im Halbdunkel, das von draußen hereinfiel. Es verwunderte ihn, denn das musste doch heißen, dass es in dieser Hütte, in der er lag, mehrere Räume gab. Er fasste sich ans Gesicht, um das Wasser in seinem Mundwinkel wegzuwischen. Da spürte er, dass sein Bart verschwunden war. Sie musste ihn abrasiert haben, während er schlief. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Viele der Männer würden wütend werden, wenn man ihnen ihre Bärte abschnitt. Hagdar hätte für seine Bartpracht töten können, das hatte er jedenfalls gesagt. Doch Bran verspürte keine Wut.
Da
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