Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Brans Reise

Titel: Brans Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bull-Hansen
Vom Netzwerk:
hörte er das Klingen. Es klang, als ob viele Riesen ihre Schwerter gegen gewaltige Schilde schlugen, und er hielt sich voller Furcht die Ohren zu. Doch die Geräusche wollten nicht verstummen, wie es der Donner tat, und deshalb rollte er sich zur Seite und taumelte auf den Boden. Er schlang sich die Decke um die Schultern, blinzelte in Richtung Fenster und fragte sich, ob er ins Gebirge geraten war, denn einzig der Himmel war zu erkennen. Doch als er die Hände nach vorne streckte und die kalten Steine des Fensterrahmens berührte, erkannte er, dass es nicht so war. Er sah die löchrigen Felsen, in denen sich die Sonne auf schwingenden Bronzeglocken spiegelte, die unzähligen Steinhütten und die Menschen, die unter ihm herumwimmelten.
    »Kragg«, betete er. »Weck mich aus diesem Traum auf.« Doch er wusste, dass es kein Traum war. Denn kein Traum wäre in der Lage, ihm derart fantastische Bilder zu zeigen. Er stand selbst in einer der löchrigen Felswände, und als er an der Wand nach unten schaute, erkannte er, dass sie aus zahlreichen Steinblöcken bestand. Weit dort unten waren Straßen und Gassen, wie er sie in Krett gesehen hatte, als er einmal dort gewesen war. Doch diese waren mit Steinplatten gepflastert, und dort, wo das Gelände anstieg, gingen Männer und Frauen über Treppen empor, die aus Steinblöcken zusammengesetzt waren. Die Hütten, die den Hang bedeckten, waren größer, als er es jemals gesehen hatte. Er kniff die Augen zusammen, blickte über die Dächer und zählte die Schiffe im Hafen. Dann hielt er sich die Hand über die Augen und spähte in Richtung der Linie, wo sich Meer und Himmel trafen. Dort draußen gab es Inseln. Sie bevölkerten das Meer wie die Wolken den Himmel. Er atmete tief ein und spürte, dass die Luft noch schwer war von dem eben erst gefallenen Regen.
    »Gefällt es dir?«
    Er drehte sich um. Tir stand hinter ihm.
    »Tirga ist meine Heimatstadt. Findest du sie schön?«
    »Schön…« Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn er hatte niemals darüber nachgedacht, ob Städte schön oder hässlich sein konnten. Menschen und Landschaften konnten schön sein, dachte er. Sie war schön. Er schlang die Decke enger um sich.
    »Das finde ich auch. Sogar diejenigen, die von Arborg hierher segeln, sagen, dass Tirga Ars schönster Hafen ist. Aber komm jetzt, ich habe Essen für dich.« Sie hob eine bronzene Schale vom Tisch. Er hatte sie zuvor nicht gesehen und begriff, dass sie sie auf den Tisch gestellt haben musste, während er am Fenster gestanden hatte. Sie rührte in dem dampfenden Brei und bat ihn, sich hinzulegen.
    »Ich will nicht liegen.« Er ging einen Schritt auf die Tür zu. »Ich bin nicht krank.«
    »Du musst dich hinlegen«, erwiderte sie. »Du hast seit vielen Tagen nichts gegessen. Du musst ruhen.«
    »Ich habe keine Zeit, mich auszuruhen. Ich muss zurück zu meinem Volk.«
    »Dein Volk ist lange ohne dich zurechtgekommen.« Sie zeigte auf das Bett. »Sie werden es wohl noch schaffen, bis du gegessen hast. Leg dich jetzt hin!«
    Er schwankte langsam über den Boden und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm schwindlig war. Als er sich auf die Bettkante setzte, drückte sie ihn nach unten.
    »Ich bin eine Galuene.« Sie stützte seinen Kopf auf eine zusammengerollte Decke. »Du musst mir vertrauen!«
    »Galu? Was ist…« Mehr konnte er nicht sagen, denn sie drückte einen Löffel zwischen seine Lippen. Es schmeckte nach Korn und Honig.
    »Ich spreche mit Cernunnos.« Sie tauchte den Löffel in die Schale und führte ihn erneut an seine Lippen. »Ich bete zu ihm und helfe ihm, die Kranken zu heilen.«
    Bran schluckte den Brei hinunter und wischte sich den Mund ab. »Wer ist Cernunnos? Ist das der König dieses Landes?«
    »Das ist unser Gott.« Tir lächelte zufrieden und sah aus dem Fenster. »Die Skerge sagen, er sei ein Kriegsgott, doch wir wissen, dass er auch die Kranken heilt. Er zieht es vor, Leben zu geben, statt Leben zu nehmen, ganz egal, was Visikal sagt.«
    »Ich verstehe so vieles nicht.« Bran öffnete den Mund für einen weiteren Löffel und schwieg dann, während sie ihm beim Essen half. Nach einer Weile legte er seine Hand um ihr Handgelenk.
    »Ich kann selber essen«, sagte er. »Ich bin kein Kind. Hol mir Kleider.«
    »Du bist noch immer schwach.« Sie zog die Hand zurück und befühlte seine Stirn, doch er schob sich mit der Decke nach hinten und lehnte sich an die Wand.
    »Ich bin nicht schwach! Ich liege schon viel zu lange hier.

Weitere Kostenlose Bücher