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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Musselinhemden der fettleibigen Gattinnen ans plätschernde Ufer des Stadtbachs und schlug sie auf den flachen Steinen sauber, notdürftig unterstützt von einer gelben Laugenseife, die ihre Fingernägel brüchig und ihre Fingerspitzen rauh wie Schmirgel machte. Für Tristão mit seinem gebieterischen Blick, den breiten Schultern und der eindrucksvollen weißen Stirn fanden sich anspruchsvollere Aufgaben – ihm vertraute man, einige Tage nachdem seine müßige, doch würdevolle Anwesenheit erstmals aufgefallen war, die persönliche Überbringung eines Schreibens des ortsansässigen Advokaten an einen halbstundenweit entfernt wohnenden Mandanten an, oder er wurde vom lokalen Groß- und Einzelhändler zum Stapeln der Fässer und Säcke und Werkzeuglieferungen in seinem Lager engagiert, von wo er an die Verkaufstheke, die Waage und sogar die Ladenkasse aufstieg, sobald seine Fähigkeit des Lesens und seine ehrliche, aufrechte Ausstrahlung bemerkt wurden. Eine Schneiderin, der Isabels aufgesprungene Hände und splitternde Fingernägel Mitleid einflößten, gab ihr einfache Nähte an verdeckten Stellen zu nähen, denen bald komplizierte Nähte an sichtbaren Stellen folgten, denn der Handarbeitsunterricht bei den Nonnen war methodisch und gründlich gewesen, und die Schneiderin fragte sich, wo dieses mittellose schwarze Mädchen, diese bloße moleca, solche Fertigkeiten und seine geschliffen-schelmischen Manieren her hatte. Dies alles spielte sich in einem kleinen Kaff an den Abhängen der Serra do Tombador ab, wo die Straßen im Zickzack verliefen und die Bürgersteige Treppen waren, zwischen denen sich in einer kopfsteingepflasterten Gosse die Karren bergauf quälten und die Abwässer zu Tal rauschten.
    In anderen Städten, noch weiter östlich, fand Tristão Arbeit bei einem Hufschmied und schließlich, so wie die Autos auf den staubigen Provinzstraßen die Pferdefuhrwerke verdrängten, in einer Autowerkstatt. Überall, wo sie arbeiteten, wurden die beiden dank ihrer Lebhaftigkeit und Anmut freundlich aufgenommen, und mehr als einmal bot man ihnen die Gelegenheit, sich auf Dauer niederzulassen und ihr Glück in der Provinz zu machen – die Zukunftsaussichten wären rosig genug gewesen, denn die Weichen im sertão waren unverkennbar auf Wachstum gestellt. Eine Zeitlang arbeitete Tristão in einer Baukolonne, wo er seine goldminengestählten Muskeln darin übte, die Schotterpiste einer neuen Fernstraße in dieses riesige Gebiet voller Rückständigkeit und Hoffnung zu treiben. «Die Straßen sind Brasiliens Zukunft!» psalmodierte der Vorarbeiter jeden Tag wie ein Priester einer neuen Religion, die dazu bestimmt war, sie für schmerzende Rücken und kargen Lohn in einer Währung zu entschädigen, deren Aushöhlung durch Inflation und hohe Preise um so schneller vor sich ging, je zivilisierter die Umgebung wurde.
    Als sie größere Städte erreichten, stellten sich städtische Abenteuer ein. Isabel entdeckte einen Laden für Schmuck- und Silberwaren, in dem ein Juwelier die vorzügliche Qualität von Onkel Donacianos edelsteinbesetztem Kreuz zu schätzen wußte. Andere Händler hatten angesichts der heiligen Antiquität mit den Schultern gezuckt, dieser jedoch begann zu strahlen. Er war ein pardovasco, der Sohn einer Negerin und eines Mulatten, mit einer Haut, so dunkel wie ein Äthiopier, und geschlitzten Augen und zurückweichendem Haaransatz. Er machte gemeinsame Sache mit ihr – und gegen die unsichtbaren Eigentümer seines Ladens, die angeblich japanische Agro-Industrielle im fernen Rio Grande do Sul waren –, indem er ihr eine Summe von zehntausend Cruzeiros anbot, was nach seiner Aussage absurd großzügig war für ein so häufiges Objekt wie ein Kruzifix aus der Kolonialzeit. «Aber ich gebe es gerne zu – ich bin nicht nur ein objektiver Kenner der Religionen, ich bin auch ein glühender Anhänger von etlichen! Ihr habt mich an meiner verwundbaren Stelle getroffen, kleines Fräulein!» Außerdem schlug er ihr vor, daß sie ihm in seiner langen Mittagspause, zwischen ein Uhr und halb fünf, in seinem Zimmer über dem Laden Gesellschaft leisten solle.
    «Wieviel bin ich dir denn wert?» fragte sie so direkt und ungehemmt, wie sie es in ihrer alten Haut nie vermocht hätte.
    «Du kriegst ein leckeres Mittagessen», versprach der Juwelier, «und ich spiele dir meine Platten mit den neuesten Afochê- Liedern aus Bahia vor.»
    «Ich könnte schon was brauchen», sagte sie unverblümt und meinte damit sowohl Geld

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