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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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ich mich ausdrücken? – irgendeine physische Veränderung an ihr?»
    Salomão blinzelte, aber er sagte nichts.
    Verlegen fuhr Tristão fort: «Ist ihre Haut, um ins Detail zu gehen, noch so, wie Sie sie in Erinnerung haben? Trotz meines Tadels hat sie auf unseren Reisen nicht immer einen Hut als Sonnenschutz getragen.»
    Der Diplomat hob die Absätze seiner Hausschuhe um einen Fingerbreit vom Boden, reckte seine Schultern und kündigte mit einem Zucken, das durch seine Gesichtszüge lief, die Gewichtigkeit dessen an, was er gleich sagen würde. Er sprach so bedachtsam, als hätte er seinen Text auswendig gelernt oder als bediente er sich einer fremden Sprache, die er noch kaum beherrschte. «Für einen Vater ist eine Tochter immer die Vollkommenheit selbst. Ich finde Isabel heute so bezaubernd wie an dem Tag, da ich sie in den Armen ihrer seligen Mutter zum erstenmal sah. Machen Sie sich keine übertriebenen Sorgen wegen des Sonnenschutzes; sie verträgt Bräune gut. Ihre Mutter war eine Andrade Guimarães, und es heißt, daß die Andrade Guimarães drüben in Portugal einen Tropfen maurischen Blutes mitbekommen haben.» Er fixierte Tristãos Augen mit seinem Blick. «Pflichten Sie mir nicht bei, wenn ich meine Tochter die Vollkommenheit selbst nenne?»
    Der Mann hatte eine fleischige Oberlippe wie Isabel, fiel Tristão auf, und wie bei Isabel war sie in der Mitte aufgewölbt, jedoch ein wenig asymmetrisch, was seinen Mund verzerrt und spöttisch erscheinen ließ. Mit fester Stimme sagte er: «Senhor, ich pflichte Ihnen bei. Auch ich habe Isabel auf den ersten Blick geliebt, und jeder Tag seit jenem ersten Augenblick hat meiner Liebe neue Nahrung gegeben. Sie ist nicht nur schön, sondern tapfer und nicht nur tapfer, sondern voller Ideen. Ich habe mein Schicksal und den Sinn meines Lebens darin gefunden, sie zu lieben. Sie ist die Vollkommenheit selbst.»
    Salomão vernahm einen grimmigen Unterton, als der junge Mann seiner Tochter diese Beteuerungen ausstieß, aber er schrieb ihn der wohlbekannten Schwermut zu, die den Portugiesen eigen ist. Keine geringere Autorität als Gilberto Freyre versichert uns, daß das ganze Brasilianische Abenteuer in schierer Melancholie versandet wäre, hätten die frühen Kolonisten nicht rechtzeitig Afrikaner importiert, um Lebenslust in ihre Siedlungen zu bringen. Und doch litten die Afrikaner selbst in der Neuen Welt an solchem Heimweh, daß dafür ein eigener Begriff geprägt wurde, banzo, eine Art von schwarzer saudade.
    Isabel kehrte aus der gleißenden Grotte des Badezimmers zurück, wo sie ihre Weiblichkeit mit sprühenden Strahlen und tröpfelnden Düften aufgefrischt hatte. Sie streckte jedem der beiden Männer, ihrem Vater und ihrem Liebhaber, eine noch feuchte Hand entgegen. «Ich sehe keinen Ring», sagte ihr Vater, als er das dargebotene Geschenk ergriffen und betrachtet hatte. «Drängt es euch Kinder nicht nach den Riten unserer geistigen Mutter, der Kirche?»
    «Da war einmal ein Ring», beschied sie ihn. «Ein sehr kostbarer Ring, den ich in einem Augenblick, den ihr beide nicht verachten sollt, für etwas anderes weggegeben habe. Es war ein schöner Ring, den Tristão mir geschenkt hatte, mit den Buchstaben DAR darauf. Wir haben nie herausbekommen, wofür diese Buchstaben standen.»
    «Wenn ich eine Vermutung wagen darf», sagte ihr Vater, «dann entstammt dieser Ring einer der heiligsten und geheimnisvollsten Institutionen der ianques – einer Vereinigung von Töchtern und Töchterstöchtern der Helden ihres kruden Freiheitskampfes, die sich ‹Daughters of the American Revolution› nennt. Es wäre eine Heldentat sondergleichen, ihnen einen solchen Ring noch einmal zu entreißen. Aber ich habe noch immer ein paar Freunde in Washington, solange Henry Kissinger unter dem derzeitigen Präsidenten dient. Ich will’s versuchen, will’s versuchen …»
    Die floskelhafte Wiederholung in ihrer gespielten, sich zierenden Bescheidenheit war ein Zeichen, das Tristão und Isabel lächelnd verstanden: es würde ihm gelingen. Und damit gab Salomão dem Paar seinen Segen, den er so lange verweigert hatte.

28. Wieder in São Paulo
    Ja, sie lebten glücklich und zufrieden, ein Dutzend Jahre insgesamt, in São Paulo – erst in einer Wohnung in Higienópolis und dann in einem Haus im Stadtbezirk Jardim América, abseits der Rua Groenlândia. Es gelang den beiden Brüdern Leme, für Tristão eine Position im mittleren Management zu finden, nicht mehr in der fusca- Fabrik, wo er

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