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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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hatten sie den Laden von Apollonio de Todi aufgesucht, aber soweit die lückenhaften Aufzeichnungen zurückreichten, war dort niemals ein Kerzenleuchter aus Kristallglas versetzt worden. Wenn’s dir lieber ist, dann behalte mein Geschenk bei dir. Geh eine Kerze stiften, damit wir nicht noch einmal in einer schwarzen Nacht zu dir kommen.
    «Und wenn du sie doch fandest», warnte sie ihn, «dann würden sie dich nicht erkennen.»
    «Stimmt», seufzte er. «Wie vernünftig du sein kannst, Isabel, sobald es um meine Vergangenheit geht und nicht um deine. Aber du mußt mich einen kleinen Spaziergang um den Block machen lassen. Meine Waden sind ganz verkrampft, und mein Kopf ist schwer. Ich bleibe nur ein paar Minuten. Geh schon ins Bett, Liebste. Ich nehme den Schlüssel mit, und wenn du nicht mehr wach sein solltest, werde ich mich in deine Träume schleichen. Ich werde nackt sein.»
    Sie rückte näher, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihre warmen Lippen auf die seinen. «Dann geh. Aber paß auf dich auf.» Sie meinte es ernst.
    Er war verblüfft. Aufpassen, in seiner eigenen Stadt? Wie alt war er eigentlich? Sie hatte ihren vierzigsten Geburtstag hinter sich, er den einundvierzigsten. Als er auf sie zurückblickte, während sie aus dem BH schlüpfte und neben dem breiten, weißen Bett die schelmische Pose einer Nachtklubtänzerin für ihn einnahm, erinnerte er sich, wie sie einmal gefragt hatte: Magst du mich noch? Ihr Anblick lockte ihn mit Macht zurück, aber er riß sich los und ging.

30. Wieder am Strand
    Tagsüber macht uns die Luft in den Tropen glauben, daß nichts vorangeht, daß Verfall und Ermattung des Menschen Los sind. Nachts jedoch prickelt dieselbe Luft vor Erregung und Möglichkeit. Ein Versprechen liegt in ihr, dampfig und duftend, das darauf wartet, in Taten umgesetzt zu werden.
    Der alte Japaner hinter dem Pult aus grüngeädertem Marmor verneigte sich ehrerbietig, als der Senhor im silbergrauen Anzug an ihm vorbeiging. Tristão drückte die Glastür auf, und ein Schwall salziger Luft drang in seine Nüstern wie ein belebender Geist. Er hielt auf die ferne Musik zu, die von den Nachtbars und Striplokalen an der Copacabana herüberdrang. In Ipanema waren alle Läden verrammelt; die Pförtner der Appartementhäuser standen hinter ihren gläsernen Türen wie die Besucher eines Aquariums, durch dessen trübe Wasser Tristão schwamm. Ein paar Restaurants waren einladend erleuchtet, und die Geldautomaten der Banken blinzelten schlaflos, doch obwohl Mitternacht noch nicht vorüber war, belebten nur wenige Fußgänger die Bürgersteige neben dem rauschenden Autoverkehr. Jenseits des Forts, auf der Seite der Copacabana, spien die Mäuler der großen Hotels mehr Licht und Leben aus, kamen und gingen Touristen in Taxis, die grün und gelb waren wie Papageien, funkelten Edelsteine und Mineralien – Turmalin und Amethyst, Topas und Rubellit aus den Bergen von Minas Gerais – in von unten durchleuchteten Schaukästen.
    An den Tischen im Freien wartete eine Mischung aus Arm und Reich, aus Käuflichen und Käufern, auf die Transaktionen dieser Nacht und plauderte unterdessen bei süßen, starken cafezinhos, als wären Zeit und Leben nicht von Wichtigkeit auf dieser Welt. An diesen Tischen waren er und Euclides entlanggetigert, hatten Trinkgelder von Untertassen abgeräumt und nach Handtaschen Ausschau gehalten, die an leicht zu durchtrennenden Gurten von Stuhllehnen baumelten. In den düsteren Seitenstraßen der Avenida Atlântica stolperten Touristen, warm vor innerer Zufriedenheit nach einer halben Stunde in den Armen einer Mulattin, aus den Hauseingängen und waren, heute nicht weniger als damals, so leicht zu Fall und um ihr Geld zu bringen wie ein überrumpeltes Schaf um seine Wolle.
    Nur er selbst, wie er in seinem grauen Anzug und ohne Begleitung dahinspazierte, stand jetzt auf der anderen Seite, war ein Magnet geworden, der Frauen in enggeschnittenen Kleidern von verspielter Frivolität und auch ein paar Männer anzog, deren Jeans wie aufgemalt auf ihrer Haut saßen, während die Bemalung der Gesichter in Feinheit und Formenreichtum mit den Indianern des Mato Grosso konkurrieren konnte. Ohne sich beirren zu lassen, folgte Tristão seinem Weg über das schwarzweiße Wellenmosaik des Bürgersteigs. Die Nachtluft, kußfeucht und voll erregter Spannung, und die Fetzen von Samba- und Forrómusik und fröhlichem Lärm, die sich mit den Gerü chen von Kaffee und Bier und billigem Parfum mischten,

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