Brasilien
Lettern BLACK HOLE verkündete, den Namen eines neuen Nachtklubs irgendwo. «Ihr wollt meine Uhr? Da habt ihr sie!» Die Hände hoch erhoben wie ein Xango- Tänzer, streifte er das schwere Gliederarmband aus Gold und Platin ab, ließ seine Angreifer sehen, daß es sich um eine Rolex handelte, und schleuderte die Uhr zwischen das alte Licht der Sterne, weit aufs Meer hinaus.
«Porra!» rief der Bursche vor ihm in völliger Verblüffung.
Das Messer in Tristãos Rücken hatte sich stumpf angefühlt, wie ein Ast oder ein Fingerknöchel, aber es glitt so mühelos durch sein Jackett und seine Haut wie eine Rasierklinge, schmerzlos im ersten Augenblick und dann mit einem Brennen, das schnell zu einer Qual anschwoll, die unerträglich war. Seine Hand tastete nach unten, nach seinem Gürtel, nach seiner eigenen Rasierklinge, aber da war nichts. Seine treue Freundin Diamant hatte einem früheren Leben angehört, und Tristão begann zu lachen, wollte das und soviel anderes diesen Kindern erklären, die seine Söhne hätten sein können und jetzt, ganz außer sich vor Angst und Ehrfurcht angesichts dessen, was sie taten, in wütender Solidarität auf den sich krümmenden und vornüberstürzenden Weißen einschlugen und -stachen, um damit allen Weißen eine Lehre zu erteilen, die sich noch immer als Beherrscher dieser Erde fühlten. Geräusche mischten sich, als im lauten Seufzen der Brandung Metall auf Knochen stieß und das Opfer und seine Mörder vor Anstrengung grunzten.
Tristãos Körper stürzte in eine Woge aus Schaum, die rasch ins Meer zurückströmte, ihn einmal herumwarf und dann liegenließ. Die drei Burschen in ihrer Panik hofften, daß das Meer den Körper wegschwemmen würde, und versuchten, ihn in die nächste Welle zu zerren, stießen ihn mit Fußtritten vorwärts, aber Tristão, der immer noch lebte, bekam einen von ihnen an den Knöcheln zu fassen und umklammerte ihn so kräftig wie einst den Drehmomentschlüssel, und das Kind, erst zwölfjährig, schrie auf, als wäre es von einem Geist gepackt worden. Dann lockerte sich der Griff. Die drei Angreifer flohen, der Sand stob unter ihren nackten Sohlen auf, und ihre Spuren verloren sich, jede in einer anderen dunklen Straßenschlucht, jenseits der Betriebsamkeit der Avenida Atlântica.
Tristão fühlte, wie sich sein Blut verströmte und wie warmes, pulsierendes Salzwasser es ersetzte; er verlor das Bewußtsein und starb. Sein Körper schwappte hin und her zwischen angetriebenem Seetang und einer Sandbank, fünf Meter weiter draußen, die ihm den Weg zum Horizont versperrte und ihn dort festhielt, wo die ziellosen Brecher genügend Kraft hatten, um einen Gischtschleier vor den aufgehenden Mond zu ziehen. Das schäumende Wasser umschlang ihn in seinem grauen Anzug, der von der Nässe schwarz geworden war, und wiegte ihn zwischen Tang und Sand, endlos.
Isabel war, schwer vom Wein, schnell in einen Schlaf gesunken, aus dem sie ein Traum von ihren Kindern weckte, in dem sich die drei wohlbehüteten zu Hause in São Paulo mit den drei verschwundenen oder toten mischten und alle etwas von ihr haben wollten – Frühstück, saubere Kleider für die Schule, Geld für Tonbandkassetten –, was sie ihnen nicht geben konnte, weil sie wie gelähmt war. Sie stand da, mitten zwischen ihren flehenden Gesichtern, und spürte, wie sich ein Unheil zusammenbraute. Im Traum waren die Kinder alle gleich alt, reichten ihr alle bis zur Hüfte, obwohl sie einige nie in dieser Größe gesehen hatte und andere schon darüber hinausgewachsen waren. Der Druck ihrer Forderungen war nicht auszuhalten und raubte ihrem Körper die Ruhe und den Schlaf. Sie erwachte, und das Unheil nahm die Gestalt des leeren Bettes neben ihr an, in dem Tristão zu liegen versprochen hatte, nackt. Das Bett, erst von einem tastenden, flirtenden Fuß erkundet und dann von einer suchenden, angstvollen Hand, war kalt und unbenutzt.
Sie stand auf und schlang einen langen, weißen Morgenrock aus Chenille um ihre Nacktheit, der Tante Luna gehört hatte und noch immer im Gästebadezimmer hing, und begann das Appartement abzusuchen. Sie sah auf dem Balkon nach und öffnete die Tür zur Galerie und blickte hinunter, ob ihr Mann es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Die Uhren zeigten Viertel nach fünf. Sie rief den Pförtner an. Der schläfrige Japaner sagte ihr, daß der Senhor kurz vor Mitternacht aus dem Haus gegangen, aber nicht zurückgekehrt sei. Sie klopfte an der Schlafzimmertür ihres Onkels. Er
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