Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
Rios moussierendem Lichterglanz erfüllt. Tristão sagte: «Liebste, ist es dir recht, wenn ich noch einen Spaziergang mache? Mir ist ein wenig schlecht von der Zigarre. Ich bin Zigarren nicht gewohnt, und auch nicht so lange Tischgespräche.»
    «Wir haben dich gelangweilt, mein Schatz, ich weiß. Vergib uns. Mein Onkel wird nicht mehr lange bei uns sein, und er denkt gerne an die alten Zeiten zurück. Er hat Angst vor der Zukunft. Er ist überzeugt, daß die Kommunisten an die Macht kommen werden, wenn es erst ein allgemeines Wahlrecht gibt. Die Kommunisten oder irgendein idiotischer Fernsehstar. Er ist ein armer, verängstigter alter Mann.» In dem Gefühl, etwas gutmachen zu müssen, ging Isabel durch das Zimmer auf Tristão zu; sie hatte das grüne Schlauchkleid abgelegt, und ihre weiße Unterwäsche durchkreuzte mit zwei dicken Strichen ihre Haut. «Er ist der einzige Mensch, den ich kenne», sagte sie mit einer kehligen, verführerischen Stimme, «der sich noch daran erinnert, wie ich damals war. Als ich noch … unschuldig war.»
    «Er weiß es», sagte Tristão zu ihr. «Er weiß, daß ich in meinem grauen Anzug derselbe schwarze Straßenjunge bin, mit dem zu gehen er seiner Nichte vor zweiundzwanzig Jahren verboten hat. Er weiß es, aber er kann nichts dagegen tun.»
    «Er will auch gar nichts dagegen tun», sagte Isabel zu Tristão und liebkoste sein Gesicht und versuchte, die Zornfalte auf seiner hohen Stirn mit ihrem Daumen zu glätten. «Er sieht, daß ich glücklich bin, und das ist alles, was er will.» Tristãos dünne, glatte, eichenbraune Haare begannen schütter zu werden, was seine Stirn noch höher erscheinen ließ. Sanft streichelte sie über seine bloßgelegten Schläfen.
    Ihre unablässigen Versuche, ihn zu besänftigen, gingen ihm auf die Nerven, und er warf den Kopf zurück, um ihre Hand abzuschütteln. Am Mittelfinger dieser Hand steckte der neue DAR-Ring, den aus Washington zu beschaffen, wie er es versprochen hatte, ihrem Vater tatsächlich gelungen war. Allerdings war er nicht so schön, nicht so kunstvoll graviert und alt wie der Ring, den Tristão vom Finger der blauhaarigen Gringa in Cinelândia geraubt hatte, was zu seiner schlechten Laune beitrug. «Nicht nur dein Onkel, auch du hast dich in der Vergangenheit gesuhlt, du warst überglücklich, dich an all das erinnern zu können, was gewesen ist, an all den Luxus, der auf dem Elend der anderen gründet. Du bist darin versunken, ich konnte dich nicht mehr erreichen.»
    «Aber ich bin wieder aufgetaucht, Tristão», sagte sie. «Du kannst mich erreichen.» Ohne den Blick von seinem irritierten Gesicht zu wenden – so als könnte er sie, wenn sie nicht aufpaßte, schlagen –, beugte sie sich nach vorn, um ihr Höschen auszuziehen, ein Bein nach dem anderen. Ihr Gesichtsausdruck war der eines schwarzen Mädchens, das mit großen, weißen Augen heimlich beobachtet, das Angst hat und doch lachen wird, sobald es das kleinste Zeichen des Einverständnisses erhält. Von ihren hellen Augen abgesehen, sah sie mit ihrem wachsamen Äffchengesicht und ihrem buschigen Haar wie eine seiner zerlumpten Spielgefährtinnen aus der favela aus, wie jene, die er am liebsten gehabt hatte, Esmeralda. Er ließ ihr ein schmales Lächeln des Einverständnisses zukommen, und schon lachte Isabel und richtete sich aus ihrer argwöhnisch gebückten Haltung auf. Ihr Dreieck aus schimmerndem, schwarzem Haar zeigte, daß ihre Haut nur braun war; der Kontrast ließ sie hell wirken. Ihr Nabel war wie die Mulde auf der Unterseite einer braunen Schüssel mit zwei breiten Henkeln – ihren Hüften, die sich nach außen wölbten wie große, geröstete Cashewnüsse. Als er seine Hand dort auf ihren Rumpf legte, stellte er fest, daß diese Hand von einem anderen Braun war, der Sonnenbräune, die er sich beim Tennis und beim Windsurfen geholt hatte. Die Haare auf dem Handrücken hatten einen Anflug von Kupferrot.
    «Es hat mir Freude gemacht, dich und deinen Onkel zu beobachten», sagte er mit einer Stimme, aus der die Müdigkeit die Anspannung vertrieben hatte. «Man spürt eine echte Zuneigung zwischen euch, die auf den Banden des Blutes und auf gemeinsamen Erinnerungen beruht. Ich bin überhaupt nicht verärgert. Ich bin melancholisch, weil ich meiner alten Heimat so nahe bin …»
    «Tristão! Es ist nichts mehr da. Die favela ist geschleift worden, man hat einen botanischen Garten und eine Aussichtsterrasse für Touristen angelegt.»
    Als sie einmal in Ipanema waren,

Weitere Kostenlose Bücher