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Brasilien

Brasilien

Titel: Brasilien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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der mit gebratenen garoupa -Stücken angereichert und mit einer Paste aus dendê -Öl und zerstoßenen malagueta - und Gumbo-Schoten scharf gewürzt war, in zwei gleiche Portionen, so als wollte sie damit zum Ausdruck bringen, daß ihr Gespräch nunmehr, da Isabel vom Vögeln reden wollte, ein Gespräch unter Gleichen war.
    «Dein Onkel ist ein guter Mann», wiederholte sie. «Aber du darfst nicht zuviel von ihm fordern. Du mußt zur Universität gehen, und du mußt dir nette Freunde suchen. Tristão ist nichts für dich. Einen Jungen wie ihn hätte ich auch haben können, als ich noch jünger war. Einen hübschen Straßenjungen. Er sieht gut aus, wie ein bunter Vogel aus dem Urwald, aber er macht dich nicht satt. Er besteht nur aus Schnabel, Klauen und Gefieder.»
    Isabel warf die Haare zurück, damit sie ihr nicht in den Bissen Gumbo-Paste hineinhingen, den sie gerade zum Mund führte; als sie geschluckt hatte, hielt sie ihr Kinn tapfer und tastend nach oben gereckt. Sie wußte, daß ihr Trotz gut stand, daß er die kecke Ausstrahlung ihres Gesichts verstärkte. «Wir haben uns gesucht und gefunden», sagte sie, «am Strand, inmitten einer unüberschaubaren Menschenmenge. Wir werden uns niemals trennen. Was kann mein Onkel dagegen tun? Gar nichts. Ich bin achtzehn. Wir leben nicht mehr in den alten Zeiten, als man Jungfrauen in Spitze und schwarzen Taft hüllen und in den alcovas ihrer großen Häuser gefangenhalten konnte wie Zuchttauben, die ängstlich aus dem vergitterten Fenster starren und auf ihren Täuberich warten.»
    «Er kann dich nach Brasília schicken», sagte Maria, «zu deinem Vater. Keiner entkommt aus Brasília. Ich hab gehört, daß es mitten in der Wildnis liegt und von einem tiefen Graben umgeben ist.»
    Isabel hüpfte vom Küchenhocker, als wäre er glutheiß. Fahrig huschte sie in der Küche hin und her, als wären alle Oberflächen so heiß, daß sie sie nur kurz berühren konnte. «Hat er das gesagt? Hat er irgend etwas davon gesagt, Maria? Nach Brasília zu meinem Vater? Sag schon!» Jede Drohung mit Brasília versetzte eine echte Carioca in Angst und Schrecken.
    Hinter Marias Schweigen verbarg sich ein zähes Ringen der Loyalitäten: gegenüber ihrem Arbeitgeber und Liebhaber einerseits, und andererseits gegenüber dieser jungen Leidensgefährtin, die eine Gefangene der Liebe war, jener Sklaverei, die der Sex den Frauen antut – auch wenn sich Isabel in ihrer Unschuld davon frei erklärte. «Ich weiß nichts Genaues, kleine Herrin», sagte Maria schließlich. «Aber sie telefonieren miteinander, er und sein Bruder. Ich fürchte, wenn du dich nicht von dem Jungen trennst, brauchst du dir für dieses Jahr keine Hoffnung auf den Karneval in Rio zu machen.»

4. Die Hütte
    Das Innere der Hütte, in der Tristãos Mutter lebte, war von grellen Lichtscherben gefleckt, die zwischen dem Zinkblech über den Köpfen und den Stücken von buntbemaltem Holz und bedrucktem Karton hereindrangen, aus denen die Seitenwände bestanden. Die blaue Tageshelle, die in diesen scharfen Splittern eingelassen wurde, vermochte kaum die stickige Atmosphäre zu durchdringen – eine Luft, in der nicht nur Tabakrauch und Kochdünste standen, sondern auch die Staubwolken, die von der bloßen Erde des Fußbodens aufstiegen und sich von den mürben Materialien lösten, die, durch immer neue Schichten von Zusammengeklautem und Aufgelesenem ergänzt, die Unbilden des Wetters fernhielten: die glühende Sonne, den trommelnden Regen, die Meeresbrise in mondlosen Nächten. Die Hütte war in blanke Natur getaucht, denn sie klebte an einem der höchsten und steilsten Hänge des Morro do Babilônia, und wenn sich ihre Bewohner am Morgen durch den Vorhang aus verrottenden Fetzen, der als Haustür diente, ins Freie tasteten, öffnete sich ein grausam großartiger Ausblick über das sonnengehämmerte Meer mit seinen Segelbooten und Inseln vor ihren zusammengekniffenen Augen.
    Isabel, die in der Dunkelheit hier angekommen war und es noch nicht gewagt hatte, ihren Kopf ins Sonnenlicht hinauszustrecken, war verblüfft von der Veränderlichkeit dieses uneindeutigen Raumes, von dem sie noch nicht einmal wußte, wie viele Menschen – abgesehen von ihr selbst, Tristão und Tristãos Mutter – er beherbergte. Es schien mehrere Kammern zu geben, auf verschiedenen Ebenen; eine davon hatte sie schon aufgesucht, den Abtritt, dessen Boden aus einem nachgebenden Sperrholzbrett bestand, unter dem ein bestürzend steiler Abhang aus nackter, roter

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