Brasilien
kichern. Tristão verspürte einen Anflug von Ekel vor diesem komplizenhaften, unterwürfigen Geräusch. Das weibliche Bedürfnis nach Unterwerfung machte seinem kriegerischen Geist allemal zu schaffen. Euclides rückte einen halben Schritt im Sand näher, akzeptierte den kampflos aufgegebenen Raum. Er hatte ein breites, finsteres Gesicht, unbarmherzig und verwirrt und lehmbraun. Sein Vater mußte zum Teil von indianischer Abstammung gewesen sein, während sich Tristãos Vater rein afrikanischen Blutes gerühmt hatte, so rein, wie Blut in Brasilien nur sein kann.
Das weißschimmernde Mädchen reckte weiter sein Kinn in die Luft und sagte zu Tristão: «Es ist gefährlich, schön zu sein. So haben die Frauen gelernt, sich zu schämen.»
«Von mir droht dir keine Gefahr, ich schwöre es. Ich will dir nichts Böses.» Der Schwur klang feierlich, die Stimme des Jungen tauchte probehalber in ein tiefes, männliches Register. Jetzt blickte sie ihm prüfend ins Gesicht: Die gerundeten Züge des Negers waren in einen Untergrund geschnitzt, der keine Völlerei gekannt hatte; aus den beherrschenden Augen drang ein kindliches Leuchten, die knochige Stirn ragte auf wie ein Festungswall, und über dem Schopf aus dicht gekräuselten Haaren lag ein Hauch von Kupfer, ein bloßer Anflug, der jedoch genügte, um einige Strähnen im weißen Feuer des Sonnenlichts hellrot aufleuchten zu lassen. Fanatismus war in diesem Gesicht zu lesen und Distanz – aber nichts Böses ihr gegenüber, wie er gesagt hatte.
Mit einer flüchtigen Bewegung berührte sie den Ring. «Schenken», entzifferte sie und streckte spielerisch die bleiche Hand aus, so daß er ihr den Ring überstreifen konnte. Der Ringfinger, an dem ihn die Amerikanerin getragen hatte, war zu dünn; erst der dickste, der Mittelfinger, bot den nötigen Halt. Sie hielt den Ring in die Sonne, so daß das ovale Feld aufblitzte, und präsentierte ihn ihrer Begleiterin. «Gefällt er dir, Eudóxia?»
Eudóxia war über die Vertraulichkeit entsetzt. «Gib ihn zurück, Isabel. Das sind üble Burschen, Straßenjungen. Bestimmt ist er gestohlen.»
Euclides warf Eudóxia einen Blick aus zusammengekniffenen Augen zu, als koste es ihn Anstrengung, ihre bewegliche, pummelige Gestalt und ihre Mischlingsfarbe zu erkennen, deren Terrakotta seinem Lehmbraun ähnlich war. Er sagte: «Die ganze Welt ist gestohlenes Gut. Eigentum ist Diebstahl, und diejenigen, die am meisten stehlen, machen die Gesetze für uns übrige.»
«Die Jungs sind in Ordnung», beruhigte Isabel ihre Begleiterin. «Was kann es uns schaden, wenn wir ihnen erlauben, sich zu uns zu legen, während wir uns sonnen und miteinander schwatzen? Wir langweilen uns mit uns selbst, du und ich. Außer unseren Badetüchern und unseren Kleidern haben wir nichts, was sie uns stehlen könnten. Sie können uns von ihrem Leben erzählen. Oder Lügen – das wäre genauso amüsant.»
Es kam so, daß Tristão und Euclides fast nichts von ihrem Leben erzählten, dessen sie sich schämten: einer Mutter, die keine Mutter war, und eines Zuhauses, das diesen Namen nicht verdiente. Sie kannten kein Leben, nur ein Hetzen und Hasten, das allein von ihren leeren Mägen angetrieben wurde. Statt dessen breiteten die Mädchen, miteinander plaudernd, als hätten sie keine Ohrenzeugen, die luxuriösen und leichtgewichtigen Einzelheiten ihres Daseins aus, als enthüllten sie seidene Unterwäsche. Sie klatschten über die Nonnen an der Schule, die sie gemeinsam besuchten – darunter solche, die so männlich waren, daß ihnen Schnurrbärte sprossen; solche, die sie für Lesbierinnen mit einer Pseudogattin hielten; solche, die Hahn im Korb, und solche, die Hennen waren; solche, die ihre Schülerinnen zu verführen trachteten, und solche, die die Liebessklavin eines Priesters waren, und solche, die den Gärtnern Geld fürs Vögeln gaben, und solche, die die Wände ihrer Zellen mit Bildnissen des Heiligen Vaters gepflastert hatten und vor dessen schmallippigem, sorgenschwerem Antlitz masturbierten. Es klang wie aus einem Buch, dem Buch des Sex, verziert mit sprachlichen Stickereien, in die die flinken Finger eines Nähkränzchens den blitzenden Silberfaden hellen Mädchenlachens verwoben hatten. Tristão und Euclides, die in einer Welt lebten, in der Sex eine Armenspeisung war wie Feuerbohnen oder farinha, nicht mehr als ein paar abgegriffene Cruzeiros auf einem weinfleckigen Holztisch wert, und die ihre Jungfräulichkeit schon verloren hatten, ehe sie noch
Weitere Kostenlose Bücher