Brasilien
tödlich getroffener Tiere in die Hand des Jägers zurückfinden. Liebe, Schwangerschaft, Untreue, Rache, Trennung. Und der Tod – niemals fehlte der Tod in diesen Geschichten.
Ihre Kleider begannen knapp zu werden. Die ehemals so schweren blauen Koffer waren nun schlaff vor lauter Leere. Der größere der beiden enthielt nur noch das edelsteinbesetzte, altmodische Kruzifix, das sie aus Onkel Donacianos Appartement gestohlen hatte, dazu das Zigarettenetui mit Initialen und ein wuscheliges Wasserschwein aus Plüsch, das sie als sehr kleines Mädchen heiß geliebt und auf den Namen «Azor» getauft und beim Einschlafen an ihre flache Brust gedrückt hatte. Jetzt war der Plüsch stumpf und rauh geworden von dem allgegenwärtigen Kieselstaub aus der niemals zur Ruhe kommenden Grube. Die Kleider und Blusen und hautengen Jeans, die sie nicht selbst aufgetragen hatte, bis sie in Fetzen zerfallen waren, hatte sie an die Frauen in den Maniküresalons verkauft, um Reis und schwarze Bohnen und farinha auf den Tisch bringen zu können. Denn Tristão war in ihren Augen zu einer muskulösen Arbeitsmaschine geworden, die sie bei Kräften halten mußte, sollte nicht ihr gemeinsamer Weg durchs Leben zu einem knirschenden Stillstand kommen.
Zu dem Zeitpunkt, da kein Kleidungsstück mehr zum Verkaufen übrig war, hatte sie sich bereits so gut mit den Maniküredamen angefreundet, daß diese das Geheimnis für sie lüfteten, wie sich Geld verdienen ließ. Es war erstaunlich einfach, sobald man erst gelernt hatte, einen Teil von sich selbst aus dem Weg zu räumen und sicher zu verstauen. Das kleine männliche Drama von Aufstieg und Fall war rührend, selbst angesichts der Tatsache, daß dieselben Männer einen mit den bloßen Händen erwürgen konnten, wenn die Lust am Bösen über sie kam. Aber es lag in der Macht der Frau, der Lust am Bösen vorzubeugen. Es lag in ihrer Macht, sich alles zu nehmen, was die Männer geben konnten. Und diese Macht lag zwischen ihren Schenkeln.
Als Tristão nach Hause kam und auf dem Tisch nicht nur Reis und schwarze Bohnen vorfand, sondern Schinken und eine Pfanne, in der jener nahrhafte Süßwasserfisch namens dourado brutzelte, dazu noch Ananas und pitanga als Dessert, da blickte er sie eine Minute lang schweigend an – das Weiße in seinen schimmernden Onyxaugen blutunterlaufen vom brennenden Staub wie damals beim Rotgesicht – und sagte kein Wort, fragte sie mit voller Absicht nicht, auf welche Goldader sie gestoßen war. Sie verachtete ihn dafür, für dieses stumme Akzeptieren, aber gleichzeitig liebte sie ihn für seinen Realismus, für seinen stoischen Takt. Es ist Romantik, was die Paare zusammenführt, aber der Realismus läßt sie zusammenbleiben. Er schmiß seinen Sack mit vielversprechendem Geröll auf den Boden, ließ ihn für diesen Abend unberührt und nahm an dem so ungewöhnlich reich gedeckten Tisch Platz, förmlich und befangen wie ein König, dessen Zepter hohl ist. Den ganzen Abend lang, so schien es ihr, behandelte er sie mit größter Behutsamkeit, als wäre ihr Fleisch in eine kristalline Substanz verwandelt worden. Als sie auf ihrem Lager aus Maishülsen in den Schlaf hinüberglitt, fühlte sie, wie er ihren Rücken und ihre Schultern mit einer scheuen Zartheit berührte, die dem Körper einer Jungfr au hätte gelten können.
Er wurde nun zärtlicher zu ihr, aber ohne Begehren. Oft spürte Isabel am Abend in der Hütte, daß seine Blicke im Kerzenlicht verstohlen auf ihr ruhten, und aus seiner Stimme hörte sie eine langsame, fürsorgliche Melodie heraus, wenn er von den Ereignissen seines Tages in der Grube erzählte. Sie hatte jetzt häufig das Gefühl, daß sich mehr Menschen im Raum befanden als nur sie und er. Lag es daran, daß ihr Gedächtnis übervölkert war von anderen Männern? Daß deren Schreie und Griffe, die Körper in so vielen verschiedenen Schattierungen, so unterschiedlich in den Muskeln, Haaren, Formen des Orgasmus, ihr so tief in den Knochen steckten? Von ihrem unerklärt bleibenden Überschuß an Cruzeiros erstand sie eine lange Blechbadewanne, und Tristão holte von nun an jeden Abend eimerweise Wasser aus dem Bach, das sie – es wurde zu einem Ritual – auf ihrem Spirituskocher erhitzten. Isabel war die erste, die in den langen Trog voll dampfenden Wassers eintauchte und darin liegenblieb, bis es sich kühl anfühlte und der Anblick ihres versunkenen Körpers, der zinngrau wirkte und dessen Schamhaar sich hob und wogte wie Seetang, ihr Gedächtnis
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