Brasilien
kroch aber zwischen seine beiden Kumpane zurück und befingerte das blutende Zahnfleisch und den Zahn, der von dem Hieb gelockert worden war. Er hatte schon mehrere seiner Vorderzähne durch Schlägereien oder Fäulnis eingebüßt. «Wir wollen unsere Kräfte mit den Göttern des Goldes messen», erklärte Tristão, als wolle er sich entschuldigen. Er zeigte ihnen den zusammengefalteten Vertrag über die Schürfrechte.
Der Mann, den er geschlagen hatte, grinste über die volle Breite seiner Zahnlücken und rächte sich mit Worten: «Solche Verträge werden in Goiânia und Cuiabá zu Hunderten gedruckt, sie sind wertlos», sagte er. «Wenn du erst dort bist, wirst du deinen Claim vergeblich suchen. Der ganze Berg ist ein Ameisenhaufen, der von Gaunern wimmelt.»
Als Isabel diese Worte hörte, fühlte sie sich von einer kalten Erkenntnis durchbohrt: daß ihre Mädchenzeit unwiderruflich der Vergangenheit angehörte, daß vor ihr eine unbekannte Zukunft lag und daß, wenn es den verbrieften Claim doch geben sollte, eine Geschichte begonnen hatte, die sie die schönsten Jahre ihres Lebens kosten konnte. Sie drängte sich dichter an Tristão, um irgendeinen Trost zu finden. Obwohl er ganz darauf konzentriert war, sich vor den anderen Männern zu behaupten, ließ er seinen Arm mit angespannten Muskeln um ihre Hüfte gleiten und zog sie, geistesabwesend und doch beschützend, an sich.
Wie sich herausstellte, existierte der Claim tatsächlich: Das unbearbeitete Geviert des Rotgesichts ragte zwischen all den anderen heraus wie eine eckige Säule, deren Höhe anzeigte, wie lange hier niemand geschürft hatte. Unter dem Ansturm der Goldsucher hatte sich, was einst ein Berg gewesen war, in ein gewaltiges Loch verwandelt, das eine halbe Meile im Durchmesser maß. Nicht Hunderte, sondern Tausende von Männern schleppten Säcke voller Erde und mit dem Pickel zerkleinertem Gestein über behelfsmäßige, hölzerne Leitern, die an den terrassenförmig ausgehauenen Flanken der Grube lehnten, nach oben. Fast jeden Tag geschah es, daß lockeres Geröll und erodiertes Erdreich auf die schuftenden Männer niederstürzten. Jeden Tag fanden ein oder zwei garimpeiros den Tod, durch Erdrutsch, Seuchen, Erschöpfung oder Messerstecherei. Raubüberfälle und Morde spielten sich mitten in der Grube ab und genauso in den Dutzenden von Barackenstädten, die an den Abhängen der umliegenden Berge entstanden waren – lange Reihen von primitiven Hütten, unter die sich ein paar Läden und Leichenhäuser und, seltsamerweise, Maniküresalons mit vielen kleinen Zellen für die Hand- und Nagelpflege mischten. Kneipen gab es keine, und in einem Umkreis von zehn Meilen rund um die Serra do Buraco war jeder Tropfen Alkohol verboten – sonst wäre die Verrohung noch viel schlimmer gewesen. Die Goldgräber, die vierzigmal am Tag einen sechzig Pfund schweren Sack voller Steine über Leitern und schmale Rampen nach oben schleppten, waren wahrscheinlich die besttrainierten Männer der Welt, mit Brustkästen wie Gewichtheber und Beinmuskeln wie Fußballspieler. Raufereien waren ihr einziges Vergnügen – wenn sie nicht zu den wenigen Glücklichen gehörten, denen Gott die Gunst gewährte, ein Goldnugget zu finden. Scharenweise waren sie aus dem verdorrten, hungernden Nordosten, den armseligen Fischerdörfern von Bahia und Maranhão, den Slums von Fortaleza und Recife und den apathischen, verseuchten Dörfern des Amazonas und seiner Nebenflüsse zu diesem terrassierten Abgrund voller Hoffnungen gezogen. Eine Bergbaugesellschaft im fernen São Paulo, die einen Brasilianischen Namen trug, aber von arabischem und nordamerikanischem Geld kontrolliert wurde, war offizielle Eigentümerin des Geländes und noch vieler weiterer, ausgedehnter Landstriche in den kargen Dourada-Bergen, aber ein Bundesrichter in Brasília hatte entschieden, daß keinem Brasilianer das Recht verwehrt werden konnte, auf diesem Land nach Gold zu schürfen – es war ein nationales Grundrecht, das seit dem Jahr 1500 bestand, seit die grünen Küsten Brasiliens zum erstenmal gesichtet worden waren. Die Goldsucher hatten eine Kooperative gegründet, die eine Bank, eine Wägestation und das System der Gesteinsmühlen und Rinnen betrieb, mit deren Hilfe die Goldkörner ausgewaschen und alle Gewässer der Umgebung mit Quecksilber vergiftet wurden.
Sobald Tristão erst die Spielregeln begriffen und vom Vertreter der Kooperative den Pickel und den großen Hammer, die Schaufel und die Säcke
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