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Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck

Titel: Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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liegt.“
    „An beidem“, sagte ich lachend. - Wir hatten die Absicht, wieder zu dem Bau des Wiesels zu gehen, wo Asbjörn zuvor vergeblich gewartet hatte. Wir hatten schon fast die Silberhütte erreicht. Von dort aus mußten wir an einem steilen Hang entlang nach Osten weiter. Dort besitzt die Sonne eine solche Kraft, daß der Schnee niemals lange liegen bleibt.
    „Sonderbar, daß diese Tiere in solcher Höhe leben“, sagte ich. „Sie gehen bis zur Schneegrenze“, erklärte Asbjörn. „Wenn ich mich nicht sehr irre, ist mein verflixtes Wiesel von neulich sogar ein echtes Hermelin. Im übrigen ein übler Räuber, aber ein schönes Tier. Und entsetzlich scheu. Immerhin ist es seltsam, daß man die Wiesel sowohl im Hochgebirge als auch in der Tiefebene findet. Sie müssen ein großes Anpassungsvermögen besitzen.“
    „Was du alles weißt!“ sagte ich. „Ist es nun der Tierfreund oder der Kameramann, der das Leben der Tiere so studiert?“
    „Ich glaube, der Tierfreund“, antwortete Asbjörn lächelnd. „Aber die Kenntnisse des Tierfreundes kann der Kameramann ausnutzen.“ Daß Asbjörn ein echter Tierfreund war, hatte ich in Villeverte sofort festgestellt. Niemals zuvor hatte ich es erlebt, daß meine alte, vernünftige Mouche bei einer neuen Bekanntschaft eine solche Begeisterung an den Tag legte. Augenblicklich und ohne den geringsten Vorbehalt hatte sie Asbjörn anerkannt; sie hatte ihren Kopf auf sein Knie gelegt, sich streicheln lassen und ihre Augen in seliger Dankbarkeit zu ihm erhoben, wenn er mit ihr sprach.
    Für Asbjörn schien das etwas Alltägliches zu sein. „So ist das nun einmal“, hatte er lächelnd zu mir gesagt, als ich mich darüber wunderte. „Die Tiere haben Instinkt. Sie wissen ganz genau, wer sie mag. Ich bin es gewohnt, daß Hunde zu mir kommen, um sich von mir streicheln zu lassen; Katzen springen mir auf den Schoß, und Pferde strecken mir den Kopf entgegen.“
    Während ich darüber nachdachte, gingen wir weiter. Der Aufstieg lag hinter uns, wir mußten den sehr steilen, unwegsamen Hang überqueren.
    Asbjörn blieb stehen und deutete mit der Hand. „Siehst du den Steinhaufen rechts? Dort ist es. Und nun müssen wir den Mund halten, Bernadette, und ganz leise gehen!“
    Ich nickte und sagte kein Wort mehr.
    Wir waren angelangt, wo Asbjörn bereits vor einigen Tagen einen Platz für die Kamera hergerichtet hatte. Er stellte das schwere Stativ auf, und wir setzten uns hinter einem Stein in einem wirren Alpenrosengestrüpp nieder. Über den Felsblock hinweg konnten wir den Steinhaufen genau im Auge behalten. Er lag ein gutes Stück entfernt, aber Asbjörn filmte mit einem Teleobjektiv.
    Asbjörn bewegte sich völlig lautlos. Nun holte er eine Tafel und einen Griffel aus der Kameratasche, schrieb groß und deutlich „147“ darauf, hielt sie mit der einen Hand einen halben Meter vor die Kamera und drückte mit der anderen auf den Auslöser.
    Jetzt hatte ich begriffen! Szene Nr. hundertsiebenundvierzig, selbstverständlich! Und dann mußte er sich Notizen machen und aufschreiben, wo und wann die Szene hundertsiebenundvierzig aufgenommen wurde, vielleicht auch die Einstellung der Blende und die genaue Uhrzeit.
    Das paßte genau zu ihm, zu seiner Gründlichkeit.
    Zielbewußt und gründlich. Wieder wanderten meine Gedanken zum Kastanienbaum und zu dem Jungen, der seine Ferienreisen und tausend andere Dinge ein ganzes Jahr lang geopfert hatte, um diese Idee durchzuführen.
    Er liebte Tiere. Natürlich taten das andere Menschen auch. Aber wenn Asbjörn Tiere liebte, so begnügte er sich nicht damit, ein Pferd zu streicheln oder einen Hund zu kraulen. Nein, er setzte sich hin und las alles, was es darüber zu lesen gab. Ich war fest davon überzeugt, daß er über alle anderen Tiere der Alpen ebenso gut Bescheid wußte wie über das Hermelin.
    Ich sollte recht behalten.
    Asbjörn ergriff meinen Arm, nickte und deutete nach Osten. Dort verwandelte sich das rote Licht in einen goldenen Schimmer - eine schmale, goldene Sichel erschien, eine blendende Sichel, so blendend, daß ich sogleich meine Sonnenbrille aufsetzen mußte.
    Nun hatte ich acht Sommer in Villeverte verbracht. Acht Sommer mit Bergwanderungen und kleinen Ausflügen, acht Sommer in den Alpen. Aber es war das erste Mal, daß ich einen Sonnenaufgang erlebte, das erste Mal, daß ich mit eigenen Augen sah, wie die Natur nach einer Sommernacht erwachte.
    Rings um uns her erwachte sie. Ein Schneefink begann weiter oben am Hang

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