Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
zu zwitschern, irgendwo zwischen Steinen und Gestrüpp raschelte es - vielleicht war es eine Maus, vielleicht eine Schlange?
Dann war von unten herauf ein schrilles Pfeifen zu hören. Diesen Laut kannte ich: der Warnruf der Murmeltiere.
Asbjörn sagte nichts, sondern reichte mir den Feldstecher und deutete nach oben. Aha, daher der Warnschrei! Ein Steinadler segelte in großen, gemächlichen Kreisen durch die Luft. Nun tat er einen Flügelschlag - schoß senkrecht hinab, immer tiefer. und verschwand aus unserem Blickfeld.
Wenn er nur nicht ein kleines Murmelchen geschlagen hatte -oder eins der süßen, schwarzen Eichhörnchen!
Aber hatte ich ein Recht, mir das zu wünschen? Mußte nicht die Natur ihren Gang nehmen? Mir erschien es grausam, wenn sich der Adler einen Junghasen holte. Doch aß ich nicht selber mit größtem Vergnügen Hasenbraten? Und waren wir nicht vielleicht stolz auf unseren Adlerhorst, wir in Villeverte? Sahen wir es nicht gern, daß sich die Adler vermehrten und am Leben blieben?
Asbjörn saß regungslos und starrte eine Öffnung im Steinhaufen an. Die Minuten verstrichen. Nichtsahnend kam ein Murmeltier aus seinem Loch heraus und begann sich zu putzen. Es war nicht so sehr weit entfernt, man konnte es bestimmt filmen. Ich zupfte Asbjörn am Ärmel und zeigte auf das Tier. Er nickte und lächelte, rührte aber die Kamera nicht an. Seltsam, daß er eine solche Gelegenheit vorbeigehen ließ; was für eine reizende Szene wäre das geworden!
Seine Augen kehrten jedoch zum Steinhaufen zurück. Die Minuten wurden zu einer Viertelstunde, zu einer halben Stunde. Einmal wandte er kurz den Kopf und lächelte mich an. Ich erwiderte sein Lächeln, und dann näherte sich seine Hand und strich mir über die Wange. Ein kleines, leichtes Streicheln mit dem Handrücken.
Da mußte ich nochmals lächeln. Nun legte er seinen Arm um meinen Nacken und ließ die Hand auf meiner Schulter ruhen. So blieben wir sitzen.
Plötzlich fiel mir die Wartezeit gar nicht mehr schwer. Stundenlang hätte ich so sitzen können, mit der großen, beruhigenden Hand auf meiner Schulter.
Auf einmal zog er die Hand zurück, machte mir ein warnendes Zeichen und griff nach dem Auslöser. Sein Auge wich nicht mehr vom Sucher. Da!
Ein schlanker, langgestreckter, geschmeidiger Tierkörper. Ein spitzes, kleines Gesicht mit aufgeweckten, wachsamen Augen. Leise schnurrte die Kamera. Glücklicherweise stand der Wind gegen uns, und das Tier merkte nichts. Inzwischen war es ganz aus seinem Bau hervorgekrochen, spähte nach rechts und links, lief, den langen Körper an den Boden gedrückt, einige Schritte und sprang dann in zwei, drei riesigen Sätzen vorwärts.
Nun befand es sich außerhalb unseres Blickfeldes, und die Kamera hörte auf zu surren. Ich wollte etwas sagen, aber Asbjörn legte einen Finger auf den Mund.
Die Tafel war in seiner Nähe liegengeblieben. Er schrieb etwas darauf und reichte sie mir: „Still! Das Tier kommt sicher zurück!“
So mußten wir also wieder warten. Asbjörn schraubte etwas an seiner Kamera, blickte wieder durch den Sucher - und wartete. Das Warten schien ewig zu währen.
Aber dann war etwas zu vernehmen! Ein schwacher, kleiner Laut, ein leises Rascheln - wieder tauchte der schlanke Körper auf. Das Tier hielt den Kopf hoch. Ich konnte es ganz deutlich sehen: in seinem Maul trug es eine tote Maus.
Die Kamera surrte, und dieses Mal war das Geräusch etwas deutlicher zu hören. Das Wiesel lauschte und war unruhig. Ohne seine Beute fallen zu lassen, war es wie der Blitz am Eingang seines Baues angelangt, warf noch einen Blick um sich her und verschwand zwischen den Steinen.
Fragend sah ich Asbjörn an. Durfte ich jetzt etwas sagen? Bei weitem nicht. Wieder bekam ich die Tafel in die Hand.
„Es hat uns entdeckt, weil ich mit Zeitlupe gefilmt habe, da surrt die Kamera lauter. Kannst du noch etwas warten?“
„So lange du willst“, schrieb ich und fügte zur Sicherheit drei Ausrufezeichen hinzu.
Wir warteten eine halbe Stunde. Aber es hätte sich gelohnt, selbst wenn es zehn Stunden gedauert hätte. Ich traute meinen eigenen Augen nicht. Aus dem Steinhaufen trippelte eine Reihe kleiner Hermelinjungen heraus, mit weichem, schimmerndem Fell, schwarzen, blanken Augen und kleinen Schwänzen mit schwarzen Spitzen. Ich begann zu zählen. Sechs Stück waren es.
Asbjörn hatte wieder die normale Geschwindigkeit eingestellt, die Tiere hörten das schwache Surren anscheinend nicht. Sie spielten, rollten
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