Bratt, Berte - 01 - Das Herz auf dem rechten Fleck
umher, bissen einander in Ohren und Schwänze und sprangen auf einen größeren Stein hinauf, wo sie für uns eine Vorstellung gaben.
Ein Schwarm kleiner Tierkinder, ein weiches, warmes, goldbraunes Bündel Leben. Und dann.
Jäh war ich aufgesprungen und schrie. Ich schrie, daß es von den Bergen widerhallte.
Ein mächtiger Schatten stieg empor, von meinem Schrei erschreckt. Die Hermelinfamilie war im Bruchteil einer Sekunde verschwunden, und der Adler entfernte sich unverrichteter Sache.
Eins war sicher: die Hermelinmutter hätte jetzt zu mir kommen sollen, Männchen machen und Pfötchen geben müssen zum Dank dafür, daß ich mindestens eins ihrer Jungen gerettet hatte. „Du Dummkopf!“ sagte Asbjörn.
„Ich weiß es“, antwortete ich, „aber ich hätte es nicht ertragen können, Asbjörn! Ich weiß, es hätte eine einzigartige Szene ergeben, stell dir nur vor, ein Steinadler, der ein junges Hermelin schlägt. Wer hat schon mal so etwas gefilmt! Aber das konnte ich nicht, nachdem wir hier gesessen und diese bezaubernden Tiere betrachtet hatten.“
„In einem Jahr sind die Jungen so bezaubernd, daß sie den Hühnern in Villeverte die Gurgel durchbeißen - wirst du dann auch schreien?“
„Höchstwahrscheinlich! Ganz bestimmt würde ich Partei für das Huhn ergreifen und mich gegen das Hermelin wenden!“
„Da siehst du, wie unlogisch du bist.“ Ich sah Asbjörn verstohlen an und fühlte mich etwas unsicher. „Bist. bist du mir böse?“ Er lächelte. Es war ein kleines Lächeln, das ebenso das eine wie das andere bedeuten konnte.
„Ja und nein. Der Kameramann in mir ist natürlich wütend, weil du mir eine Szene verdorben hast, die ich nie mehr werde aufnehmen können. Eine solche Gelegenheit bietet sich nur einmal im Leben. Aber der Tierfreund in mir ist dankbar im Namen der Hermeline und wiederum zornig im Namen des Adlers, der um sein Frühstück geprellt wurde.“
„Und der Mensch in dir, Asbjörn?“ Nun war sein Lächeln voll Sicherheit, strahlend und warm.
„Der Mensch in mir ist nicht im geringsten böse. Der Mensch freut sich, weil du unlogisch und warmherzig bist und keine Grausamkeit mit ansehen kannst - selbst wenn es sich um eine
Grausamkeit innerhalb der Naturgesetze handelt.“
„Gott sei Dank!“ Ich seufzte erleichtert auf. „Aber merk dir eins, Bernadette, bei diesen morgendlichen Expeditionen ist es der Kameramann in mir, der den Ton angibt.“
„Also bist du doch böse?“
„Der Kameramann packt jetzt zusammen“, antwortete Asbjörn ruhig und begann, seine Kamera vom Stativ abzuschrauben. „Jetzt bin ich nur noch ein Mensch. Nebenbei bemerkt, ein hungriger Mensch.“
Ich nahm unseren Proviant aus dem Rucksack, und dann frühstückten wir, ganz allein dort oben in den Bergen, während die Sonne immer höher stieg. Durch den Feldstecher konnten wir sehen, wie Villeverte nach und nach erwachte. Fenster wurden geöffnet, die Kühe auf die Weide getrieben, die Ladentüren aufgestoßen, der erste Morgenbus setzte sich in Fahrt.
„Du hast dich wunderbar still verhalten“, sagte Asbjörn anerkennend. „Behaupte nur nicht mehr, du hättest keine Geduld! Die hast du und hast es wahrhaftig bewiesen!“ Ich errötete vor Freude über dieses Lob.
„Aber Asbjörn! Warum hast du eigentlich nicht das Murmeltier gefilmt, das da saß und sich in der Morgensonne putzte? Das hätte doch ein paar ausgezeichnete Bilder ergeben.“
„Bestimmt. Und dann wäre das Hermelin genau in dem Augenblick aus seinem Bau herausgekommen, in dem ich die Kamera auf das Murmeltier eingestellt hatte. Und damit hätte ich diesen Film nicht drehen können. Ach nein, man muß schon sehr viel opfern und vielen Versuchungen widerstehen, wenn man filmt. Heute stand das Hermelin auf dem Programm, der Wind war günstig und das Licht gut.“
„Und wenn du also Hermeline filmen willst, filmst du Hermeline; und willst du Kastanienbäume filmen, so sind eben die Kastanienbäume dran! Bist du in allem, was du dir vornimmst, so zielbewußt?“
„Ja“, antwortete Asbjörn. Es klang sicher und entschieden. Ich weiß nicht, wieso es kam, aber dieses sichere „Ja“ ließ eine heiße Welle in mein Gesicht steigen.
Ich begann, die Thermosflasche und die leeren Bakelittassen wieder in den Rucksack zu packen. Plötzlich wagte ich es nicht mehr, Asbjörn in die Augen zu blicken.
Dann fühlte ich seine Hand, die mir sanft den Rucksack wegnahm.
„Bernadette“, sagte er leise. Sein Arm lag um meine
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