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Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta

Titel: Bratt, Berte 02 - Zwei Briefe fuer Britta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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als ich ihn wiedersah. Wie ganz anders war jetzt alles, jetzt, da ich anfing, Paris zu kennen und wo ich mich daran gewöhnt hatte, im Ausland zu leben.
    Ich löste eine Bahnsteigkarte und ging den Bahnsteig auf und ab, sah auf die Uhr, sah mir die Menschen an, die sich allmählich einfanden. In einem der langen Gänge auf der Metrostation hatte ich einen Veilchenstrauß bei einer Blumenverkäuferin gekauft. Den hielt ich ganz fest, während ich auf und ab ging, auf und ab.
    Eine Stimme im Lautsprecher. Natürlich verstand ich die Worte nicht. Selbst zu Hause fiel es mir schwer, etwas von Lautsprechern an den Bahnhöfen zu verstehen, aber ich hörte den Namen Cologne -Aix-la-Chapelle, also Köln-Aachen und wußte dadurch, daß es Ellens Zug war, der angemeldet wurde.
    Und dann kam der Zug. Gibt es etwas Schöneres auf der Welt, als mit Blumen in der Hand auf einem Bahnhof zu stehen, während ein Zug hereinrollt, und zu wissen, daß in diesem Zug ein guter Freund sitzt? Ich durfte nicht zu weit hinausgehen, nur an der Lokomotive und an dem Gepäckwagen vorbei. Ich blieb in der Höhe des ersten Personenwagens stehen, um alle Fahrgäste, die vorbeikamen, im Auge zu haben.
    Wie mochte sie angezogen sein? Sicher in Blau. Ellen geht meistens in Blau, das steht ihr am besten zu ihrem blonden Haar.
    Da! Nein, ich irrte mich, es war eine andere blonde Dame in Blau. Aber da!, nein, es war ein graues Kostüm. Außerdem hatte die Dame ein kleines Kind bei sich.
    Die Menschen strömten aus dem Zug an mir vorbei. Wie lange es dauerte! Sie würde es doch wohl nicht verschlafen haben, das böse Mädel, und jetzt gerade im Abteil ihr Kleid über den Kopf ziehen?
    Der Menschenstrom wurde dünner, immer dünner. nun kamen die letzten Nachzügler. Ich preßte das Veilchenbukett in meiner Hand so fest, daß die armen Blumen zerdrückt wurden.
    War Ellen vielleicht doch an mir vorbeigegangen, ohne daß ich sie gesehen hatte, oder hatte sie sich wirklich verschlafen? Ich ging langsam weiter, an dem leeren Zug entlang, ich schaute in alle Fenster. überall leer. Der Schaffner ging durch den Wagen. Er wollte wohl sehen, ob alle ausgestiegen und ob Sachen liegengeblieben waren. Ein leerer, trauriger Zug mit benutzten Abteilen, mit Apfelsinenschalen auf den Tischen, mit zerknüllten Zeitungen, die auf den Sitzen herumlagen,... ein verbrauchter Zug.
    Ich sah wohl, gelinde gesagt, ratlos aus, so wie ich da stand mit einem dicken Kloß im Hals. Ein Bahnbeamter sprach mich an.
    „Je ne comprends pas français, Monsieur“, sagte ich.
    Er verstand ein wenig Deutsch. Ob er mir irgendwie behilflich sein könnte?
    „Nein“, sagte ich, „nein. Tausend Dank. Es ist nur. es ist nur meine Cousine, die nicht gekommen ist.“
    Er lächelte.
    „Bestimmt kommt sie mit dem nächsten Zug; von wo sollte sie denn kommen? Aus Dänemark? Vielleicht hatte ihr Zug Verspätung, so daß sie den Anschluß verpaßt hat. Gehen Sie nach Hause, Fräulein, und frühstücken Sie, der nächste Zug über Köln und Aachen kommt zwölf Uhr siebenundvierzig.“
    Natürlich, wie dumm war ich! Ellen kam ja von Esbjerg. Sie mußte sowohl in Fredericia als auch in Hamburg umsteigen, klar wie dicke Tinte! Einer der Züge hatte natürlich Verspätung. Ja, ja, so würde sie natürlich mit dem nächsten kommen.
    Kein Grund zum Heulen, Britta, sagte ich mir. Geh heim zu deinen Katzen und sieh zu, daß du den Frühstückstisch in einen Mittagstisch verwandelst; schlimmer ist das Ganze nicht.
    Ich fühlte mich aber gar nicht wohl in meiner Haut. Ich hatte ein abscheuliches Angstgefühl, als ich unter der Erde nach St-Lazare fuhr und mit dem Zug heim nach Colombes. Der Kloß in meinem Hals saß noch da. Ich hatte mich für erwachsen gehalten; doch stand nicht hier ein kleines verängstigtes Schulmädchen mit bebenden Lippen?
    Mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür.
    Da lag etwas auf dem Boden unter dem Postschlitz. Ein Telegramm!
    Ach, lieber Gott, laß Ellen mit dem nächsten Zug kommen, lieber Gott, laß es nichts Schlimmes sein!
    Meine Hände zitterten derart, daß ich kaum das Telegramm öffnen konnte, und es dauerte bestimmt eine Minute, ehe ich lesen konnte, und mehrere Minuten, ehe mir der Inhalt richtig klar wurde.
    „Ellen Blich hier mit Diphtherie eingewiesen, bittet um baldigste Nachricht, sendet herzliche Grüße, ist verzweifelt über die Situation.
    Oberschwester, Städtisches Krankenhaus, Esbjerg“
    War das wirklich ich, war dies ich? Britta Dieters, die hier saß.

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