Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
verantworten, so herumzulaufen, ohne einen Arzt zu Rate zu ziehen und ohne zu wissen, ob seine Krankheit ansteckend war? Wenn er nun Lisbeth ansteckte?
„Laß mich abtrocknen, Lisbeth“, sagte ich.
Nun standen wir beide nebeneinander in der winzigen, dunklen Küche und reinigten mit feierlichen Mienen das schmutzige Geschirr. „Die Tassen hängen immer an den Haken unter dem Wandbrett“, erklärte Lisbeth todernst. „Nein! Das nasse Tuch darfst du nicht an den Nagel hängen. Das kommt dorthin – über den Herd! – Die Gläser kannst du vorläufig auf das Brett stellen. Sie gehören in den Schrank.“
Ich rieb und trocknete ab und räumte auf und dachte dabei, wie ungeheuerlich und widersinnig es doch war, daß ein so kleines Mädchen eine so große Verantwortung tragen und so schwer arbeiten mußte. Lisbeth war ganz unfaßbar tüchtig und ihrem Alter weit voraus. Warum mußte sie in einer finsteren Küche stehen und auf waschen? Warum rannte sie nicht irgendwo am Meer im Badeanzug über den heißen Sand und bekam braune Wangen? Warum mußte sie so blaß und mager sein? Übrigens sah sie nicht etwa kränklich aus. In der Ab Waschwanne entdeckte ich ein großes Milchglas, und auf den Tellern fanden sich noch Gemüsereste. Sie schien gutes, bekömmliches Essen zu erhalten. Aber bleich war sie, viel zu bleich.
„Du findest sicher, daß ich sehr faul bin, Steffi“, sagte Georg, als wollte er sich entschuldigen. „Aber ich fühle mich seit einigen Tagen nicht besonders. Ich brauche meine ganze Kraft für das Geschäft und muß mich daher am Abend etwas ausruhen. Aber das geht bald vorüber. Und dann kann ich schon wieder ordentlich anpacken.“
„Ich wünschte, du gingest zu einem Doktor, Georg“, sagte ich. „Ich wünschte es sowohl um deinet- und um Lisbeths willen.“
Ein Zucken ging über Georgs Gesicht. Aber er nahm sich zusammen.
„Es wird schon wieder besser werden“, sagte er. Ohne mir Zeit zu einer Erwiderung zu lassen, fuhr er schnell fort:
„Was für ein schönes Auto du hast, Steffi. Du hast es geliehen, sagst du?“
Ich merkte, daß ich rot wurde, und ärgerte mich darüber.
„Ja. Von einem meiner Freunde. Er wohnt in Bergen und hat seinen Wagen für einige Zeit hier in einer Garage eingestellt. Er steht mir jederzeit zur Verfügung. Deshalb kann ich auch mit Lisbeth einen Tagesausflug machen.“
„Es ist riesig nett von dir, daß du an Lisbeth gedacht hast. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich darüber bin. Lisbeth hat gar zu wenig Freuden, das arme kleine Ding. Aber wir wollen hoffen – “
Da er seinen Satz unvollendet ließ, fragte ich nach einer kurzen Pause: „Was macht ihr im Sommer, Georg?“
„Ich pflege Lisbeth in eine Ferienkolonie zu schicken. Sie sträubt sich zwar dagegen, aber in diesem Punkt gebe ich nicht nach. Ich richte es so ein, daß ich Urlaub bekomme, sobald Lisbeth zurück ist. Dann gehen wir jeden Tag zusammen baden und dergleichen. Ende Juni soll sie reisen.“
„Da wirst du sie aber sehr vermissen, Georg.“
Er sah mich nur an. Niemals werde ich diesen Blick vergessen. Er sagte unendlich viel mehr, als Worte hätten ausdrücken können. Sein Blick erzählte von unerträglich heißen Sommertagen, an denen die Stunden qualvoll langsam dahinschlichen und an denen Georg sich dennoch nicht auf den Abend freute. Denn daheim war alles leer und tot. Und es war trübselig und langweilig, für sich allein Essen zu kochen. So begnügte er sich denn damit, in die Küche zu gehen und sich eine Scheibe Brot abzuschneiden. Und er hatte keine Lust, zeitig aufzustehen und, wie sonst, die Milch zu holen. Die Kochplatte blieb leer und unbenutzt auf dem Küchentisch stehen. Und immer, immer erfüllte Lisbeth seine Gedanken. Immer sah er das kleine Gesicht mit den aufmerksamen, klugen braunen Augen vor sich, immer hörte er die ernste kleine Stimme, die so vernünftige Dinge sagte. Und unversehens durchzuckte ihn ein Schreck: wenn ihm nur nichts zustieß, dem kleinen Wesen, das in der Kolonie doch unter lauter Fremden war…
Ich brach auf. Wir verabredeten, ich solle Lisbeth früh am nächsten Morgen abholen, bevor Georg ins Geschäft ginge.
Ich war sehr nachdenklich, als ich an diesem warmen Juniabend nach Hause fuhr.
Die Weckeruhr rasselte um sechs. Ich war mit Blitzesschnelle aus dem Bett und legte die letzte Hand an den „Eßkorb“. Ich hatte schon manchen Picknickkorb gepackt und besaß darin einige Übung. Aber rote Brauselimonade hatte
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