Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
ich noch nie mitgenommen noch auch solche Mengen von Kuchen und belegten Broten. Und dies alles war dazu bestimmt, ein kleines Mädchen in den siebenten Himmel zu versetzen. Es fehlte weder an gebratenem Hühnchen noch an Fleischklößchen, noch an Erdbeeren und einer Flasche Sahne zum Nachtisch. Lisbeth öffnete mir. Sie war fix und fertig, und ihr ganzes Gesicht strahlte.
Ernst und feierlich reichte sie ihrem Vater die Hand.
„Auf Wiedersehen, Vater! Du mußt mir versprechen, daß du eine Menge zu Mittag ißt. Und du brauchst mir nicht aufzumachen, wenn ich zurückkomme. Ich nehme den Wohnungsschlüssel mit.“
„Amüsiere dich nur ordentlich, Lisbeth!“
Lisbeth wandte sich zurück und winkte, solange sie ihren Vater sehen konnte.
„Wo wollen wir hin. Lisbeth?“
„Das weiß ich nicht. Irgendwohin, wo ich noch nicht gewesen bin.“
„Ja, aber woher soll ich denn wissen, wo du schon gewesen bist?“
„Ich bin nur in der Ferienkolonie gewesen – und auf Bygdö – und einmal war ich am Nordstrand.“
„Du bist also noch in keiner anderen Stadt gewesen als in Oslo?“
„Nein.“
„Gut. Dann fahren wir eben in eine andere Stadt.“ Lisbeth klatschte vor Freude in die Hände.
Der Wagen glitt schnell dahin: erst den Drammensweg hinunter, dann neben der Westbahn her. Wir hatten eine ganz hübsche Geschwindigkeit.
Es schien ein überaus heißer Tag werden zu wollen.
„Du mußt dich melden, Lisbeth, wenn du Durst bekommst. Ich habe Brauselimonade mitgenommen. Ich glaube auch, du tätest gut daran, wenn du den Mantel auszögest. Sonst schmilzt du mir noch ganz weg.“ Lisbeth lachte. Sie war es nicht gewohnt, daß man mit ihr scherzte.
„Ich kann doch gar nicht schmelzen – Menschen können doch nicht einfach wegschmelzen wie Eis!“
„Bist du auch ganz sicher? Ich glaube, du hast es mit der Angst gekriegt. Meinst du nicht, du könntest bei dieser Hitze einfach verschwinden und bloß einen kleinen nassen Fleck auf dem Boden des Wagens zurücklassen?“
Nun lachte Lisbeth aus vollem Halse. Die feierliche, erwartungsvolle Stimmung war verflogen, und sie gab sich ganz frei und unbefangen. Munter plauderte sie über alles, was sie entdeckte. Sie jauchzte über ein Fohlen und ein paar kleine Kälber; sie zupfte mich am Ärmel, um mich auf ein Pferd aufmerksam zu machen, das einen „furchtbar komischen kleinen Wagen mit Fahrrädern“ zog. Es war ein Traber, der einem Training unterzogen wurde. Einmal sahen wir ein paar kleine Mädchen mit kurzen, weiten Leinwandhosen und dreieckigen Tüchern.
„Puh! Wie ist es doch warm!“ seufzte Lisbeth.
Gegenüber einem Vorortbahnhof entdeckte ich eine Stoffwarenhandlung. Wir hatten Glück. Ich fand einen Luftanzug, der Lisbeth ausgezeichnet paßte, und dazu ein Paar kleine Segeltuchschuhe.
Lisbeth reichte mir feierlich die Hand.
„Vielen, vielen Dank, Steffi! Wie bist du doch nett! Niemand ist so freigebig wie du!“
„Nicht übertreiben, Lisbeth! Es macht mir Spaß, etwas zu kaufen. Das ist alles.“
Lisbeth betrachtete mich ernst und aufmerksam.
„Aber du findest sicher, daß es am meisten Spaß macht, etwas für andere zu kaufen. Und darum bist du nett.“
Ich schämte mich. Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich gefunden, daß es Spaß mache, für andere etwas zu kaufen. Natürlich hatte ich Geburtstagsgeschenke gemacht – und Weihnachtsgeschenke –, und hin und wieder einmal hatte ich wohl auch etwas „Mildtätigkeit“ geübt. Aber noch nie hatte ich eine so unbändige Freude am Schenken gehabt wie jetzt, da es Lisbeth galt.
Sie zog sich im Hinterzimmer des Geschäfts um. In der kurzen kleinen Hose und mit dem bloßen Rücken sah sie bezaubernd aus. Schade nur, daß ihre Haut gar zu weiß war.
„Nun müssen wir sehen, daß du etwas Farbe bekommst, Lisbeth“, sagte ich.
Auf einer bewaldeten Anhöhe frühstückten wir. Die Brote mit Brathuhn, die Kuchen und die Erdbeeren mit Sahne machten auf Lisbeth einen überwältigenden Eindruck. Sie hatte einen gesegneten Appetit und ließ sich alles schmecken ohne die geringste Rücksicht auf die Reihenfolge. Es machte Spaß, ihr zuzusehen. Ich selber hatte längst die Waffen gestreckt. Ich lag bequem auf der Wagendecke, die ich über das Gras gebreitet hatte, rauchte eine Zigarette und amüsierte mich über Lisbeths erstaunliche Leistungsfähigkeit.
Plötzlich legte sie das Butterbrot, das sie gerade zum Munde führte, aus der Hand. Es war das letzte mit Brathuhn.
„Steffi! Kann ich dieses
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