Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
geblieben?
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Ich rief bei der Zeitung an, für die Heming arbeitete.
Es dauerte eine kleine Weile – dann wurde der Hörer abgenommen, und eine etwas atemlose Stimme meldete sich. Es war Heming.
„Hallo, Heming! Hier ist Steffi.“
„Du bist es? – Ich hatte gerade hinter mir abgeschlossen und war im Begriff zu gehen, als das Telefon läutete. Ist etwas passiert, Steffi?“
„Ich bin so verzweifelt, Heming. – Ich mußte einfach mit jemandem sprechen – Lisbeth…“
„Was ist mit Lisbeth?“ Die Stimme war schnell und hart und bange.
„Sie hat Scharlach und über vierzig Temperatur und – “
„ Schließe die Haustür auf. In zehn Minuten bin ich bei dir.“
Heming ging sofort in das Schlafzimmer. Ich hielt ihn zurück.
„Hast du Scharlach gehabt?“
„Ja. Du auch?“
„Ja.“
„Das ist gut.“
Er beugte sich über Lisbeth. Sie schlug die Augen auf. Sie war jetzt bei klarem Bewußtsein.
„Kleine Lisbeth! Du willst uns doch nicht etwa krank werden?“ Wie zärtlich seine Stimme klang!
„Bleibe bei mir, Heming!“
„Natürlich bleibe ich bei dir. Steffi auch.“
„Steffi nicht“, murmelte Lisbeth. „Steffi ist mir böse.“ Jetzt konnte ich mich nicht länger beherrschen. Die Tränen flossen mir über die Wangen.
„Aber nein, meine kleine Maus – ich bin dir nicht böse. Ich bin nicht nett zu dir gewesen, Lisbeth, und das tut mir so leid. Wir müssen wieder Freunde werden, Lisbeth. Willst du?“
Lisbeth richtete ihre Augen auf mich. Es war, als strenge sie sich an, meine Worte zu verstehen. Dann schloß sie die Augen und sagte nichts mehr. Wir hörten sie nur noch hin und wieder leise wimmern.
Heming ging in die Küche und kochte Kaffee. Dann legte er mir sanft den Arm um die Schultern und bewog mich, von dem Stuhl an Lisbeths Bett aufzustehen und mit ihm ins Wohnzimmer zu gehen.
„Trinke eine Tasse Kaffee, Steffi!“
Ich gehorchte. Mitten in meinem Kummer, meiner Angst und Beschämung empfand ich es wohltuend, daß jemand bei mir war, der bestimmte, was zu geschehen hatte.
„Was meinte Lisbeth, als sie sagte, du wärest ihr böse?“ fragte Heming.
Ich erzählte ihm alles und schonte mich selber nicht. Ich erzählte von Carl, von Lisbeths Abneigung gegen ihn und ihrem unhöflichen Benehmen. Ich gestand auch offen ein, daß ich daran gedacht hatte, an Lisbeth schmählichen Verrat zu üben, und daß ich mich unsagbar schämte.
„Wie konnte ich nur so gemein, so niederträchtig – ein solcher Unmensch sein?“ schluchzte ich.
Heming wartete geduldig, bis ich mich ausgeweint hatte. Als meine Tränen langsamer zu fließen begannen, hob er leise und ruhig zu sprechen an. Wie erwachsen er auf einmal geworden war – der fröhliche Junge mit der Haarsträhne in der Stirn!
„Du bist töricht gewesen, das ist das Ganze. Du hast Lisbeth gegenüber einen Fehler gemacht. Du hast geglaubt, man könne eine tiefe Abneigung mit Vernunftgründen bekämpfen. Das ist völlig aussichtslos. Hast du nicht selber Menschen kennengelernt, die du nicht ausstehen konntest?“
„Doch“, gab ich zu.
„Da hättest du am liebsten genauso gehandelt wie Lisbeth.“
„Ja…“
„Aber du tust es nicht, weil du wohlerzogen bist. Lisbeth aber ist erst sieben Jahre alt. Sie hat noch nicht die Hemmungen eines Erwachsenen. Sie hat es bisher noch nicht gelernt, Theater zu spielen. Du hättest bei ihr mehr erreicht, wenn du gesagt hättest: Hör mal, Lisbeth! Du magst den Mann nicht. Dafür kannst du nichts. Aber wenn du unhöflich zu ihm bist – dafür kannst du etwas. Wir müssen es alle lernen, höflich zu sein – auch zu Menschen, die wir nicht leiden können. – Das ungefähr hättest du zu Lisbeth sagen sollen.“
„Du hast recht, Heming.“ Wir schwiegen beide eine Weile. Heming schenkte Kaffee ein und holte Kekse.
„Weißt du, Heming – es ist eigentlich merkwürdig, wie gut du Kinder verstehst. Man sollte fast glauben, du hättest selber welche.“
„Um Kinder zu verstehen, braucht man nicht selber welche zu haben. Es genügt, daß man einmal ein Kind gewesen ist und nicht vergessen hat, wie einem damals zumute war.“
„Aber Kinder können dich so gut leiden. Du mußt wohl etwas Besonderes an dir haben.“
„Das ist wohl möglich. Und wenn es so ist – dann um so besser. Es wird sich als nützlich erweisen, wenn ich erst einmal Lehrer bin.“
Lisbeth wimmerte wieder leise. Wir gingen zu ihr. Plötzlich murmelte sie etwas.
„Pfui, Steffi!
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