Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
Nicht schlagen!“
Es ging mir durch und durch, als ich das hörte.
„Er ist dumm! Er ist dumm! Er ist dumm! Du kannst mich ruhig schlagen. Aber er ist dumm!“
Dann murmelte sie etwas, was wir nicht verstehen konnten. Nach einer Pause kam ein langer Seufzer:
„Vater!“
Heming legte tröstend den Arm um mich, als mir wieder die Tränen kamen.
„Nimm es nicht so schwer, Steffi! Du mußt Lisbeth richtig verstehen. Sieh mal: Sie ist natürlich noch nie in ihrem Leben geschlagen worden; und sie begreift das alles nicht. Du mußt dich mit ihr aussprechen, sobald sie wieder gesund ist.“
„Ja – wenn sie nur nicht…“
Keiner von uns wagte es, den Satz zu vollenden.
Aber plötzlich fragte Heming:
„Du hast sie doch wohl ärztlich untersuchen lassen? Ich meine: damals, als du erfuhrst, woran ihr Vater gelitten hatte?“
„Selbstverständlich. Als wir wieder in der Stadt waren, bin ich sofort mit ihr zu einem Arzt gegangen. Er sagte, sie wäre so gesund wie ein Fisch im Wasser. Und das wäre ein wahres Wunder. Es wäre völlig unbegreiflich, wie sie jahrelang mit einem Tuberkulosekranken zusammen hätte wohnen können, ohne von ihm angesteckt zu werden. Daß sie aber kerngesund ist, daran besteht, wie der Arzt sagte, nicht der geringste Zweifel.“
„Das ist ausgezeichnet“, sagte Heming. „Dann wird sie mit dieser Geschichte leichter fertig. Bei der kräftigen Ernährung, die du ihr hast zukommen lassen, wird sie eine ganz hübsche Portion Widerstandskraft sozusagen aufgespeichert haben.“
„Glaubst du das?“
„Darauf kannst du dich verlassen. Ich finde, du pflegst sie direkt vorbildlich. Ausgezeichnetes Essen – Milch, Eier, Obst, gute Butter – peinlichste Reinlichkeit – jeden Tag eine warme Dusche – viel an frischer Luft – einen ganzen Sommer im Gebirge: könnte sie es wohl besser haben?“
„Daß du das alles gemerkt hast!“ Ich mußte lächeln.
„Kinder interessieren mich“, sagte Heming. „Ich habe des öfteren dies oder das an dir auszusetzen gehabt, wie du aber für Lisbeth sorgst, ist des höchsten Lobes wert. Glaubst du, ich wüßte nicht, daß man in deiner Wohnung vergeblich nach Lutschstangen und Bonbons suchen würde? Glaubst du, ich hätte nicht gehört, wie du Lisbeth anhieltest, ihre Zähne ordentlich zu putzen? Glaubst du, ich erinnerte mich nicht mehr, wie du nein sagtest, als Lisbeth ihr Stück Zucker in deinen Kaffee tauchen wollte, und wie du ihr erklärtest, sie könne leicht am Kaffee Geschmack finden, und das; wäre nicht gut für sie? Glaubst du, ich wüßte nicht, daß in der Küche eine Flasche Sanasol steht, und daß Lisbeth jeden Tag davon etwas trinken muß?“
Wie tröstlich klang das alles in diesem Augenblick, da ich so ganz verzweifelt war und mich so unsagbar schämte!
Eigentlich verdiente ich dieses Lob freilich gar nicht.
Es war für mich etwas ganz Selbstverständliches, daß ich auf Lisbeths Gesundheit und Wohlergehen bedacht war. Mir selber war es ja nicht anders ergangen, als ich klein gewesen war.
Der Tag brach an. Wir hörten, wie das Leben auf der Straße erwachte. Ich bereitete das Frühstück. Heming und ich frühstückten zusammen. Dann mußte er gehen. Er hatte eine Vorlesung.
„Ich komme später wieder her, Steffi. Schreibe auf, was du besorgt haben willst. Ich bringe es dann mit.“
„Das ist furchtbar nett von dir, Heming.“
Als er schon auf dem Flur war, steckte er noch einmal den Kopf durch die Tür.
„Und wenn ein Ferngespräch von Stockholm kommt, mußt du ein braves Mädchen sein!“
Die Wohnungstür fiel ins Schloß. O ja, ich würde brav sein. Heming brauchte keine Angst zu haben.
Der Doktor kam und fand bestätigt, was er schon vermutet hatte. Es war kein Zweifel mehr möglich. Lisbeth hatte Scharlach. Nun waren wir beide auf unbestimmte Zeit isoliert.
Ich rief bei Rambech an. Glücklicherweise war die Übersetzung, an der ich gerade arbeitete, nicht sehr eilig. Dann sprach ich mit Anne-Grete. Sie versprach, am Nachmittag zu mir zu kommen. Gegen Mittag aber rief sie bei mir an und sagte mit klagender Stimme, Knut hätte noch keinen Scharlach gehabt, und sie hätte Angst, sie könnte den Krankheitsstoff auf ihn übertragen.
Heming aber ließ sich nicht fernhalten. Er beschaffte sich einen weißen Arztmantel und eine weiße Kappe und sah darin wie ein fröhlicher junger Bäckergeselle aus. Er wusch sich andauernd die Hände, spülte sich immer wieder den Mund aus und war überhaupt so vorsichtig, wie man
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