Bratt, Berte - Lisbeth 01 - Meine Tochter Liz
brachte mir Kaffee ans Bett.
„Nun gehe ich in die Küche, während du dich duschst. Dieses bunte gespensterhaft aussehende Dings hier ist vermutlich ein Morgenrock. Nun geh und nimm ein Bad!“
Es war eigentlich merkwürdig. Hier war ein junger Mann, der buchstäblich bei Tag und bei Nacht kam und ging, wie er wollte. Er hatte einen Schlüssel für die Haustür und einen für die Wohnung. Er schickte mich ins Bett, er brachte mir meinen Morgenkaffee, er spazierte in meiner Küche, meinem Badezimmer, meinem Schlafzimmer umher, als wäre er bei sich zu Hause.
Und doch waren unsere Beziehungen von Anfang an so rein kameradschaftlicher Natur gewesen, daß keiner von uns je auf den Gedanken gekommen war, wir könnten uns ineinander verlieben.
Heming hatte bei mir gegessen und war dann in die Redaktion gegangen. Ich hatte in der ganzen Wohnung Ordnung gemacht und mich dann mit einem Buch ins Wohnzimmer gesetzt.
Lisbeth schlief. Ihre Temperatur war nicht besonders hoch. Etwas über achtunddreißig. Plötzlich schrie sie auf. Ich warf das Buch hin und stürzte ins Schlafzimmer.
„Kleine Lisbeth – was hast du?“
„Die Ohren – die Ohren…“ jammerte sie und preßte ihre Hände auf die kleinen Ohren.
„Tun sie so weh, Lisbeth? – Alle beide?“
„Am meisten das eine – aber das andere auch – o Steffi, – es tut so weh – kannst du nichts daraufschmieren? – Hilf mir doch, Steffi – oh! – “
Sie brach in ein verzweifeltes Schluchzen aus.
Ich rief wieder einmal bei dem Doktor an. Er machte gerade Krankenbesuche. Da rief ich bei einem anderen an, einem Ohrenarzt. Er kam sofort.
Lisbeth war sehr geduldig, als er sie untersuchte. Es war ein netter, freundlicher Mann, und er verstand es gut, mit Kindern umzugehen.
„So, Kleine“, sagte er, als die Untersuchung beendet war. „Nun wollen wir dafür sorgen, daß die häßlichen Schmerzen aufhören, damit du heute nacht gut schläfst – und Mutti auch.“
Lisbeth schien es nicht weiter merkwürdig zu finden, daß der Doktor mich für ihre Mutter hielt.
Sie bekam eine Spritze mit irgendeiner Flüssigkeit in den Arm. Bei dem Stich zuckte sie etwas zusammen, sagte aber nichts. Bald darauf war sie eingeschlafen.
„Wir wollen die Sache bis morgen abwarten“, sagte der Doktor. „Ich muß Sie aber darauf vorbereiten, daß wir wahrscheinlich zu einer doppelseitigen Meißelung werden schreiten müssen.“ Er merkte wohl, daß ich ein sehr erschrockenes Gesicht machte, denn er legte seine Hand beruhigend auf meinen Arm. „Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, gnädige Frau. Es ist eine verhältnismäßig einfache Sache, die gut auszugehen pflegt.“
„Müssen Sie – wollen Sie – muß Lisbeth ins Krankenhaus?“
„Das wird sie wohl müssen – jedenfalls auf kurze Zeit. Und nun, gnädige Frau, sollten Sie versuchen, etwas zu schlafen. Sie sehen sehr müde aus. Sind Sie ganz allein mit Ihrer kleinen Tochter?“
„Ja“, sagte ich. „Ich will es selber so. Ich mag sie nicht von mir fortlassen, sofern es nicht unbedingt sein muß.“
„Das kann ich gut verstehen“, sagte der Doktor.
Da erzählte ich ihm, daß Lisbeth meine Pflegetochter wäre, nicht meine Tochter – und ich selber ein Fräulein, keine Frau. Er schien das nicht weiter merkwürdig zu finden.
Lisbeth war glühend heiß. Sie hatte einen schweren Schlaf. Ich blieb an ihrem Bett sitzen.
Ich mußte an viele kleine Begebnisse in den letzten Monaten denken. Ich hörte die helle Kinderstimme, die damals im Frühling gesagt hatte: „Vater! Der Hut der Dame da sieht genauso wie eine Bananenschale aus!“ Ich dachte an die Autofahrt nach Drammen. Wie war Lisbeth doch zuerst schüchtern und fassungslos gewesen! Und wie war sie dann nach und nach aufgetaut! Ich dachte an Lisbeth in den Bergen. Wie sonnenverbrannt und zerzaust und schmutzig und glücklich war sie doch gewesen! Ich dachte an das zitternde, schluchzende kleine Wesen, das nach Georgs Tod auf meinem Schoß gesessen und sich an mich geklammert hatte. Ich dachte an die ersten Schultage – es war kaum einen Monat her – und wie stolz ich auf sie gewesen war. Sie hatte ein ganz allerliebstes Schulkleid, das ich selber für sie zusammengestellt hatte: blauer Faltenrock, knappe blaue Jacke, darunter eine weiße Bluse, breiter gestärkter Kragen und eine schwarze Seidenschleife. Ihr Haar war weich und schmiegsam. Es hatte mir nicht viel Mühe gemacht, es in eine richtige Pagenfrisur zu verwandeln. Sie hatte hinreißend
Weitere Kostenlose Bücher