Bratt, Berte - Marions gluecklicher Entschluss
rein!«
Marion machte große Augen; sie biß sich auf die Lippe und sah recht bedrückt aus. Kein Wunder! Doch am Abend wollte ich ihr in aller Ruhe erzählen, daß wir Bescheid wüßten und daß der Onkel morgen käme.
Jetzt aber überließ ich sie - aus Eigennutz - ihrem Buch. Ich wollte ein ungestörtes Stündchen mit Pierre haben. Wir verkrochen uns ins Atelier. Es gab ja so viel zu besprechen, zu fragen und zu erzählen.
»Was macht ihr mit Marion?« fragte Pierre.
»Ja«, sagte ich. »Was machen wir mit Marion? Weißt du, was ich am liebsten möchte?«
»Ja, ma petite, das weiß ich ganz genau, weil ich dich kenne. Du möchtest sie hierbehalten.«
»Du kennst mich also gut. Kannst du verstehen, daß ich das möchte?«
»Und ob!«
»Gut, daß du es verstehst. Ich verstehe es nämlich selbst nicht!«
»Dann kann ich es dir erklären. Du hast es gut, Britta. Du bist glücklich, du hast diese reizenden Menschen um dich, du hast deinen einmaligen Vater.«
»Und ich habe dich!« ergänzte ich.
»Ja, du bist, kurz gesagt, glücklich. Du hast ein harmonisches Heim, du bist selbst ein harmonischer Mensch.«
»Was bin ich? Ich denke, ich bin Vatis Nervensäge und.«
»Warst du mal, als Kind; das glaube ich schon. Jetzt bist du erwachsen und so ausgeglichen, wie man es von einem neunzehnjährigen Mädchen verlangen kann. Es ist doch sonnenklar, daß du, die du aus dem vollen schöpfen kannst, diesem kleinen einsamen Ding etwas von deinem Glück abgeben möchtest. Sie soll auch glücklich werden; es stört dich, daß es überhaupt disharmonische Menschen auf der Welt gibt!«
Da mußte ich lachen.
»Du hast wohl recht, Pierre. Jedenfalls möchte ich versuchen, Marion zu helfen. Wenn ich es nur könnte! Und wenn ich wüßte, wie Vati sich dazu stellt - und die anderen. Ich kann doch Tante Edda und Bernadette und Ellen nicht zumuten. «
Pierre lächelte.
»Sprich mit ihnen«, sagte er. »Wetten, daß Marion als siebentes Familienmitglied aufgenommen ist, wenn ich das nächste Mal komme?«
»Aber Pierre, so überstürzt kann man doch nicht. «
»Ich kenne euch!« sagte Pierre mit Überzeugung und küßte mich.
Als ich Pierre abends zum Schiff gebracht hatte, ging ich wieder zu Marion. Sie lag auf dem Rücken, hellwach, und starrte geradeaus ins Leere.
»Nun, Marion? Wie geht’s? Hast du Spaß an dem Buch?«
»An dem Buch? O ja. Ja, gewiß. Es ist schrecklich spannend.«
»Sind sie schon auf der Insel gelandet?«
»Ja, sie haben schon Feuer gemacht, mit den beiden Uhrgläsern.
Prima, wie sie das schaffen.«
»Durstig, Marion? Tee oder Apfelsinensaft?«
»Ach, das ist egal. Mach dir keine Mühe.«
Ich ging in die Küche. Da war Tante Edda.
»Wie geht’s deiner Patientin?«
»Spricht ein bißchen und sieht aus, als denke sie an ganz was anderes.«
»Ich möchte sie eigentlich gern begrüßen. Geht das, glaubst du?«
»Wunderbar. Tante Edda. Es ist verflixt schwer, unbefangen mit ihr zu reden, wenn man weiß. Und außerdem muß sie ja erfahren, daß ihr Onkel morgen kommt.«
»Gerade das brauchen wir ihr doch erst morgen früh zu sagen. Wir dürfen ihre Nachtruhe nicht stören. Das arme Ding hat bestimmt auch ohnedies genug Probleme. Gut, ich gehe mit dir.«
Marion richtete die Augen groß auf Tante Edda, sagte aber nichts.
»Ja, siehst du, hier kommt ein Eindringling«, sagte Tante Edda, ging hin zum Bett und reichte Marion die Hand. »Ich bin Brittas Tante Edda. Sonst heiße ich Callies. Ich war neugierig; ich wollte doch auch unsere Patientin begrüßen! Britta sagt, daß es dir schon viel, viel besser geht.«
»Ja«, antwortete Marion. Dann schwieg sie wieder. »Darf ich fünf Minuten hierbleiben?«
»O ja, bitte«, sagte Marion.
Ich reichte ihr die Teetasse. Als sie sie nahm, schwappte der Tee über. Ohne ein Wort nahm Tante Edda die Tasse und hielt sie, während Marion trank.
»Was macht die Temperatur heute?« fragte Tante Edda. »38,3.«
»Fein! Wir werden dich bestimmt schnell gesundkriegen.« Marion antwortete nicht. Sie sah Tante Edda schweigend an, drehte den Kopf und starrte auf das Tapetenmuster. »Hat Britta dir eigentlich erzählt, wo du dich befindest?« erkundigte sich Tante Edda. »Oder liegst du nichtsahnend hier? Paß mal auf, ich schildere dir, welche Bande hier im Haus wohnt. Wir sind nämlich eine ganz komische, zusammengewürfelte Familie.« Dann erzählte sie lächelnd und in einem ganz alltäglichen Ton über uns, gab mit wenigen treffenden Worten eine kleine
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