Braut der Nacht
Tatius Nathanial und mich letzte Nacht entlanggeführt hatte. Schließlich landeten wir wieder vor der Tür des Ratszimmers, wo wir die Sammlerin getroffen hatten.
Samantha stieß die Tür auf, und sofort veränderte sich ihre Haltung. Ihre Bewegungen wurden geschmeidiger, und sie stolzierte mit wiegenden Hüften in den Raum.
Es war vergebene Liebesmüh– der Rat war nicht anwesend. Ein paar Vampire waren damit beschäftigt, Sofas zu einem Kreis in die Mitte des Zimmers zu rücken, doch die Ratstafel war leer. Kein Rat bedeutete: kein Nathanial. Ich wusste immer noch nicht, ob es ihm gut ging.
Mit einer schroffen Bewegung, die ihre Verärgerung verriet, strich sich Samantha das Kleid glatt, dann gebot sie mir mit erhobener Hand zu warten, und marschierte zu dem Vampir, der uns am nächsten war. Ihre geflüsterten Worte waren zu leise, als dass ich sie in dem geräumigen Saal verstehen konnte. Der andere Vampir stellte die Chaiselongue ab, die er auf der Schulter balanciert hatte, und deutete zur Decke.
Samantha nickte. Dann kam sie zu mir zurück, führte mich wieder hinaus in den Korridor und schloss die Tür hinter uns.
»Du hättest mir auch gleich sagen können, dass Tatius nicht hier unten ist«, sagte sie.
Ich starrte sie an. »Woher sollte ich das denn wissen?«
Missbilligend verzog sie die vollen Lippen. »Nun, wenn deine Bindung zu Tatius noch nicht eng genug ist, um seinen Aufenthaltsort zu spüren, dann hättest du mir auch sagen können, dass Nathanial nicht da ist. Es ist doch offensichtlich, dass er bei ihm ist.«
Ich gab mir Mühe, sie nicht mit offenem Mund anzustarren, während Samantha mich mit ihren schräg stehenden Augen intensiv musterte. Nathanials Aufenthaltsort spüren? Ich hatte noch nie auch nur den blassesten übersinnlichen Schimmer davon gespürt, wo er war. Kein einziges Mal.
Aber er wusste immer, wo ich war.
Ich schluckte. Laut Gil war ich der erste Gestaltwandler, dem die Verwandlung in einen Vampir gelungen war, und welche Auswirkungen das hatte, war noch völlig unbekannt. Anscheinend war diese Sache mit dem Spüren etwas, das mir fehlte.
Da ich mir Samantha gegenüber mein Defizit an Vampir-Fähigkeiten nicht anmerken lassen wollte, lächelte ich nur schwach und sagte: »Stimmt. Sorry.« Dann zeigte ich mit dem Finger zur Decke, wie ich es den anderen Vampir hatte tun sehen. »Er ist oben?«
Samanthas missbilligende Miene wurde noch ein wenig härter, aber sie nickte. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte den Gang entlang.
Durch den unterirdischen Gang gelangten wir in einen großen, begehbaren Kühlraum, durch den Samantha mich in eine geschäftige Restaurantküche führte.
»Wo sind wir?«, flüsterte ich, als ein Kellner in einer dunklen Weste vorbeihastete.
»ImCrimson. Ein weiteres von Tatius’ Investitionsgeschäften.« Samantha ließ den Blick durch die Küche schweifen. »Sie da, Sie sind die Geschäftsführerin, richtig?«
Eine Frau in einem schmal geschnittenen schwarzen Kleid blickte von ihrer Unterhaltung mit einem Koch auf und stemmte die Hand in die Hüfte. »Ja. Gibt es irgendetwas, das Tatius braucht?«
»Ihre Schuhe«, sagte Samantha und streckte die Hand aus.
Die Geschäftsführerin starrte sie verdutzt an, doch als Samantha einfach nur weiter abwartete, bückte sie sich, zog ihre schlichten schwarzen Pumps aus und reichte sie Samantha. Die schob mir die Schuhe entgegen.
»Zieh sie an und beeil dich!«
Ich schlüpfte in die Pumps– die zwei Nummern zu groß waren–, dann humpelte ich Samantha hinterher. Sie stieß eine Schwingtür auf, und wir ließen das Chaos der Küche hinter uns und betraten einen schummrig beleuchteten Speisesaal. In einer Ecke saß eine Harfenspielerin und entlockte ihrem Instrument, das so groß war wie ich, ätherische Klänge. Die sanfte Musik schwebte durch den Raum und vermischte sich mit den gedämpften Unterhaltungen der Gäste. Kerzen flackerten auf den Tischen, die mit gestärkten weißen Tischtüchern und glänzendem echtem Tafelsilber gedeckt waren.
Der Ort hier sah nicht nach Tatius aus.
Und wo wir gerade bei Tatius waren: Ich konnte weder ihn noch Nathanial oder den Rest der Ratsmitglieder irgendwo entdecken. Samantha, die den Raum mit Blicken abgesucht hatte, drehte sich zu mir um und zog eine ihrer wohlgeformten Augenbrauen hoch. »Nun?«
Verdammt, das bedeutete wohl, dass ich in der Lage sein sollte, sie zu spüren oder irgendeinen anderen Vampir-Quatsch. »Äh…« Ich ließ den Blick
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