Braut der Schatten
ein Teil von ihr, den sie kaum kannte.
Als sie die erste Stufe hinunterstieg, hielt Dakiano immer noch ihre Hand.
So schaffte sie auch die zweite Stufe.
Sie holte tief Luft, ehe sie die dritte und letzte Stufe in Angriff nahm. Ihre Finger umklammerten die seinen, um sich so lange wie nur möglich an ihm festzuhalten …
Genau in dem Moment, in dem ihre Stiefel den schwammigen Boden berührten, verlor sie den Kontakt zu dem Vampir. Sie stockte und blickte über die Schulter hinweg zurück.
Dakianos maskulines Gesicht erstrahlte vor Freude. Mit leuchtenden grünen Augen und stolzgeschwellter Brust sah er sie an.
Na toll. Jetzt muss ich diesen Mist durchziehen, wenn auch nur, um diesen süchtig machenden Blick noch einmal zu sehen.
Die Lichtung lag vor ihr. Sie schluckte. Wie konnte es ihrer Aufmerksamkeit bisher entgangen sein, dass diese Bäume so ungeheuer riesige Stämme und Wurzeln hatten und dass der Nebel so Furcht einflößend war?
Aber die Geräusche um sie herum waren nicht verstummt.
Tu es!
Diese zwanzig Meter waren die längsten ihres Lebens. Ihre Gedanken rasten, ebenso wie ihre panischen Herzschläge.
Vor dem Regen kommt die Klarheit. Grauen oder Schönheit? Dakiano ist ganz in der Nähe. Er wird jeden Vrekener vernichten. Nettes Picknick, nettes Picknick. Vrekener foltern.
Und dann … stand sie auf der Lichtung. Mit hochgezogenen Schultern, aber sie war da.
»Ich … ich hab’s geschafft«, rief sie zaghaft und ungläubig. »Ich steh mittendrin.«
»Ja, du hast es geschafft, Liebes«, rief er zurück, und er hätte unmöglich stolzer klingen können.
Innerhalb von Sekunden öffnete sich eine Lücke in der Nebeldecke, genau wie sie vorhergesehen hatte. Ein Fallwind warmer Luft zerstreute den Nebel wie im Auge eines Hurrikans. Sie befand sich inmitten eines Tunnels klarer Luft.
Sie schluckte.
Grauen oder Schönheit?
Sie musste allen Mut zusammennehmen, um das Gesicht zu heben.
Bettina sah keine Angreifer. Sie sah … eine Szene wie aus einem Traum.
»Vampir, das musst du sehen …«
Er befand sich bereits an ihrer Seite.
Es war beinahe Vollmond, und er hing wie eine Silbermünze über ihnen. Glühwürmchen, so groß wie Bettinas Hand, schwebten golden am Himmel und zogen Lichtspuren hinter sich her. In einem sanften Wirbel tanzten fluoreszierende, dunkelrote Blütenblätter durch die Luft wie blinkende rote Lichter. Glänzende Blätter schwebten gemächlich hinab, während das Mondlicht sich in ihnen spiegelte …
Ich habe es geschafft, und ich wurde belohnt.
Welche anderen Belohnungen mochte sie verpasst haben?
Sie spürte eine tief greifende Veränderung in ihrem Innersten.
War sie bereit, ganz allein durch die Stadt zu spazieren? Noch nicht ganz. War sie von ihrer Angst geheilt? Sicher nicht. Aber zumindest in diesem Moment verspürte sie keine.
Endlich war sie auf dem Weg der Besserung.
Dakiano sagte eine ganze Weile gar nichts, schien einfach nur den Anblick über ihnen zu bewundern. Ohne den Blick abzuwenden, griff er erneut nach ihrer Hand und umschloss sie mit seiner.
»Du hast einen Schleier von meinen Augen genommen, Bettina. Ich will die Welt nie wieder sehen wie vorher.«
Sie wandte den Blick vom Himmel ab und ihre Aufmerksamkeit etwas ebenso Bemerkenswertem zu: dem Gesicht des Vampirs, der zum Mond emporschaute.
Es verschlug ihr beinahe den Atem, wie gut er aussah.
Er bewunderte die Szene mit halb geschlossenen Augen, als erlebte er nie gekannte Glückseligkeit.
Liebe Götter, genau so sieht er mich an.
Als er ihren Blick auf sich spürte, wandte er sich ihr zu und starrte auf sie hinunter – und in der Tat veränderte sich seine Miene nicht.
Dalit.
Wieder drang dieses Wort in ihr Bewusstsein ein.
Blitz.
Ein altertümliches, dämonisches Wort, das auch jene urplötzlich auftretende Begierde bezeichnete, die man fühlt, ehe man sich verliebt.
Konnte sie ihre Gefühle für Caspion hinter sich lassen und neue Gefühle für diesen großartigen, geduldigen, mutigen Vampir entwickeln?
Die Worte purzelten nur so aus ihrem Mund: »Was würdest du tun, wenn ich sterben würde? Wenn jemand mich … ermordet?«
Er zog die Brauen zusammen. »Davon will ich nicht sprechen.«
»Du hast versprochen, all meine Fragen zu beantworten.«
Seine Hand drückte die ihre. »Dich rächen.« Sein Blick hielt ihren fest. »Dir
folgen
.«
Ihr Mund öffnete sich vor Staunen, gerade als ein warmer Regen einsetzte.
32
Trehan verstand ihre plötzliche Frage nicht, wusste nur, dass
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