Braut der Schatten
zurückgelassen.
Sie war nicht imstande gewesen zu schlafen, hatte nur vor sich hingedöst, um immer wieder nervös hochzuschrecken. Auch wenn der Vampir nichts davon gesagt hatte, dass er vor dem Kampf noch einmal bei ihr vorbeischauen würde, so rechnete sie doch damit, dass er ihr einen Besuch abstatten oder wenigstens eine Nachricht schicken würde.
Nichts.
»Die Buchmacher bieten drei fuffzig zu eins.«
»Drei
hundert
fünfzig?« Sie rieb sich die Stirn.
»Oh ja. Man müsste im Grunde schon Insiderinformationen haben, um bei dieser Quote zu wetten«, sagte Salem. »Falls jemand – also natürlich nich’ ich oder du, sondern irgendjemand – die Nacht mit einem der Wettkämpfer verbracht und dabei zufällig etwas aufgeschnappt hätte, dann könnte dieser Jemand – natürlich nich’ ich oder du – einen Mordsreibach machen.«
»Ich weiß nur, dass der Vampir hoch motiviert ist.« Und dass er am Ende seiner Kräfte war. Und wenn der mangelnde Schlaf sich nun auf seine kämpferischen Fähigkeiten auswirkte? »Hast du inzwischen irgendeine Schwäche bei Goürlav aufgedeckt?«
»Nich’ die Bohne. Hab nur lauter Horrorstorys über diese Kinder des Schreckens zu hören gekriegt. Ich nehme nicht an, dass Abaddon irgendwas Atomares zur Verteidigung in petto hat?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kommst du mit und siehst dir den Kampf mit mir an?«
»Ein Domestike am Tisch der hochwohlgeborenen Herrschaften?« Salem klang belustigt.
»Komm schon. Es ist ja nicht so, als ob dich jemand sehen würde.«
Stille.
Bettina merkte, dass sie ihn beleidigt hatte, doch das war nicht ihre Absicht gewesen. Wie hätte er auch nicht sensibel auf seine gegenwärtigen Lebensumstände reagieren sollen? Während dieses Turniers war er für sie sehr viel mehr als bloß ein Diener geworden, und jetzt hatte sie ihn verletzt. »Tut mir leid, Salem.«
»Ich mag ja unsichtbar sein, Prinzessin, aber ich war mal ein unvergleichlicher Anblick für müde Augen, ein regelrechter Prachtkerl, dermaßen todschick, das müsstest du schon sehen, um es zu glauben. Dieser Domestike, der gerade nicht in körperlicher Bestform ist, lehnt deine Einladung ab.«
Als er davonschimmerte, attackierte sie aufs Neue ihren nachgewachsenen Fingernagel. Sie würde es demnächst wiedergutmachen. Doch in diesem Augenblick konnte sie an nichts anderes als ihren Vampir denken.
Mein Vampir.
Vielleicht hatte seine Erweckung auch Einfluss auf sie, dass sie auf einmal so besitzergreifend war. Vielleicht konnte sie nach letzter Nacht einfach nicht mehr anders, als sich an seiner Seite zu sehen.
Doch auch wenn die Sorgen um ihn auf sie einstürmten, spürte sie dennoch, dass sie noch nicht bereit war, sich ihm vollständig zu ergeben.
Aber er wollte, dass sie sich ergab.
Sag mir, dass ich alles mit dir tun kann. Sag mir, dass du mein bist …
Schließlich fiel ihr wieder ein, warum ihm diese Worte vermutlich so wichtig waren. Sie hatte sie in jener ersten gemeinsamen Nacht mit Dakiano gesagt, als sie so betrunken gewesen war.
Als sie ihn für Caspion gehalten hatte.
Der Vampir wollte, dass sie diese Dinge sagte und
ihn
meinte.
Es musste unerträglich für ihn sein, zu wissen, wie sie für Cas gefühlt hatte.
Augenblick mal … gefühlt
hatte
?
Ich bin so durcheinander.
Und inmitten ihrer Verwirrung wollte sie nur mit einer einzigen Person zusammen sein, mit einer einzigen Person reden – Dakiano.
Falls er verlor, würde sie niemals wieder die Gelegenheit bekommen, mit ihm zu sprechen.
Wenn die Wetten dreihundertfünfzig zu eins standen, würde es wohl genauso kommen.
Das war nicht akzeptabel. Vermutlich befand er sich bereits im Allerheiligsten.
Ich werde ihn dort aufsuchen.
Salem hatte sie allein gelassen, Cas war wütend auf sie, und Raums Wachen würden sich weigern, sie in das Innere des Rings zu eskortieren. Ob sie sich überwinden konnte, ganz allein dorthin zu gehen?
Letzte Nacht war ihr die Vorstellung, diese wenigen Meter bis zur Lichtung zurückzulegen, lächerlich erschienen. Dann … möglich.
Schließlich hatte sie es
geschafft
.
Sie legte ihren Umhang an und machte sich auf den Weg durch die Burg. Am Ausgang zögerte sie vor der Schwelle.
Sollte sie Dakianos stählerne Stimme denn niemals wieder hören? Seine starken Arme niemals wieder um ihren Körper spüren? Sie spähte in den Himmel hinauf, überwältigt von ihren eigenen Gedanken.
Eher riskiert die Maus, vom Habicht erwischt zu werden.
36
Trehan roch Bettinas zartes Parfum,
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