Braut von Assisi
Ein schmerzliches Lächeln. »Da habe ich so lange nach der Wahrheit gesucht, um schließlich zu der Erkenntnis gelangen zu müssen, dass sie wie ein Ball aus flüssigem Feuer brennt, wenn man ihr zu nah kommt.«
Ein reicher Kaufmann, der seine Tochter zur Heirat nach Perugia bringen wollte und mit einem ganzen Tross von Verwandten und Dienern unterwegs war, hatte sich nach kurzen Verhandlungen einverstanden erklärt, Stella
mitzunehmen. Das war vor gut drei Tagen gewesen. Sie würde also bald in Assisi sein.
Seit Stella fort war, sehnte Leo sich danach, ihr hinterherzujagen, nur um sie endlich wieder reden und lachen zu hören. Doch das durfte er nicht. Er musste sie freigeben. Ihretwegen.
Seinetwegen!
Er sank auf die Knie und begann das Vaterunser zu beten. Jene vertrauten Worte aber, die ihm schon so oft Frieden und Trost geschenkt hatten, erschienen ihm plötzlich leer. Hatte er nicht nur seine Liebe verloren – sondern damit auch Gott?
Schließlich legte Leo sich bäuchlings auf den Boden, schloss die Beine und breitete die Arme weit aus wie damals bei seiner Einkleidung, als er zusammen mit den anderen Novizen auf dem Steinboden der Klosterkirche gelegen hatte, ein lebendiges Kreuz, voller Hoffnung und Demut. Voller Vorfreude, endlich ganz zur Gemeinschaft der frommen Brüder zu gehören.
Den nackten Felsen unter sich zu spüren machte ihn nach einer Weile ruhiger. Auch die Gedanken in seinem Kopf empfand er nicht mehr als ganz so quälend. Er würde sich auf seine Mission konzentrieren, ohne auch nur die geringste Ablenkung zuzulassen, das schwor er sich in diesem Augenblick.
So vieles gab es noch zu tun!
Nach und nach schien Licht in das Dunkel um Magdalenas Tod zu dringen, aber es war erst Dämmerung, was sich da zeigte. Und wieso hatte Lorenzo sich als ihr Mörder bezeichnet? Weil er ihr jenes Geheimnis preisgegeben hatte, das er Leo nicht mehr hatte offenbaren können?
Alles hing zusammen mit jenem Brieffragment, das Leo inzwischen aus den verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt
und mit Leim auf ein frisches Pergamentstück geklebt hatte. Der Fund aus Lorenzos Beutel hatte den Brief fast vervollständigt. Inzwischen kannte Leo den Inhalt so gut, dass er jedes Wort in seiner Sprache auswendig wusste.
Es ist eine Tochter, Geliebter, die für immer unser Geheimnis in sich tragen wird. Doch niemand wird jemals davon erfahren, dafür habe ich gesorgt, schon gar nicht sie. Ich werde ihr die Mutter sein, die ich allen Schwestern bin, und nichts wird ihr fehlen. Ich weiß, dass du nicht auf dieses Schreiben antworten tannst, aber ich muss dir diese Zeilen schicten, denn mein Herz brennt vor Liebe, auch wenn ich weiß, dass wir uns niemals wieder so begegnen werden wie in jener Nacht vor den Mauern von San Damiano …
Hier endete der Brief. Leo war sich sicher, dass der Schluss fehlte. Alles jedoch, was er noch in Händen hielt, war jenes verbrannte Stück Pergament mit dem seltsamen Bogen, das er zu Füßen des verkohlten Bruders Andrea gefunden hatte.
Wegen dieser Zeilen hatten sechs Menschen sterben müssen, sieben sogar, wenn er den angeblich Siechen dazuzählte, und er hätte beinahe das Liebste verloren – Stella. Eine Weile hatte er in ihrer Gegenwart von einem neuen Leben geträumt, und es war ihm so erstrebenswert erschienen, dass es fast schon real gewirkt hatte. Aber seit sie fort war, schien alles zerstoben wie ein Wolkenschloss, in das der kalte Wind bläst. Ungeschehen machen konnte Leo jedoch nichts. Er würde zu seinen Wurzeln zurückkehren – was immer ihn dort auch erwarten mochte.
Leo erhob sich und trat ins Freie. Das Licht des sommerlichen Vormittags blendete ihn. Zu seinen Füßen lag das heilige Tal, friedlich und grün, als wäre hier niemals etwas Böses geschehen. Fidelis, die unter einem Baum graste, scharrte mit den Hufen, sie schien den Aufbruch kaum erwarten zu können.
»Ja, es geht los, meine Alte!« Leo streichelte ihren Hals. Dann saß er auf. »Wir reiten zurück. In Assisi laufen alle Fäden zusammen.«
Nach den Wochen der Entbehrungen erschien Stella das Haus von Ilaria und Federico in der Oberstadt wie ein Palast. Bauleute aus Como und dem Tessin, vom jungen Hausherrn zur Renovierung nach Assisi berufen, hatten aus dem alten Gebäude ein wahres Prachtstück gemacht, das unter all den anderen in der Gasse hervorstach. Die Fenster waren verbreitert worden, die Haustüre hatte man erneuert, ein stattliches Stockwerk war dazugekommen, das Platz für eine
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