Braut von Assisi
durch sein Eingreifen ihren Abt verloren – einen Abt freilich, den die Besessenheit zu
schrecklichen Taten angestiftet hatte? Leo wusste nicht, wie viel von den Ereignissen im heiligen Tal schon bis hierher gedrungen war, doch innerlich hatte er sich bereits während des Ritts nach Assisi für unbequeme Fragen gerüstet, deren Beantwortung er nicht scheuen würde.
Sie hatten einiges erfahren, das erkannte er am Blick Fra Gundolfos, der die Pforte bewachte. Der Bruder öffnete das winzige Fenster, erstarrte, als er Leo erkannte, und schlug es wieder zu.
Eine ganze Weile musste Leo vor verschlossener Türe warten, bis ihm endlich geöffnet wurde. Zwei Mönche empfingen ihn, ein schmaler, älterer mit silbernem Bart, der andere im hellen Novizengewand, das in seltsamem Gegensatz zu den ersten grauen Haaren in seinem braunen Schopf stand.
»Ich bin Bruder Enrico«, sagte er. »Spätberufener aus Bozen, der seit wenigen Tagen im Sacro Convento lebt. Prior Fulvio, der Vertreter des Abtes, hat mich gebeten zu übersetzen.«
»Matteo ist gefangen in Rieti …«
»Lo sappiamo« , unterbrach der Prior Leo und ließ eine Flut italienischer Worte folgen, zu schnell, als dass Leo sie hätte verstehen können.
»Der Prior meint, das alles sei ihm bereits bekannt. Bis ein offizielles Urteil feststeht, will er sich über dieses Verfahren nicht äußern. Du warst dabei, als man ihn festgenommen hat?«
»Das war ich«, erwiderte Leo. Wenn sie entschlossen waren zu mauern, würde er es ebenso tun. »Doch bis die päpstliche Kommission nicht endgültig über alles entschieden hat, werden auch meine Lippen, was die näheren Umstände betrifft, verschlossen bleiben. Das musst du verstehen! «
In die kantigen Züge des Priors schlich sich Unmut. »Was willst du dann hier?«, fragte er.
»Mit Bruder Orsino sprechen«, sagte Leo. »Jetzt, wo mir ein vorzüglicher Übersetzer zur Seite steht, eine Leichtigkeit. Bring mich bitte zu ihm!«
Der Prior flüsterte, nachdem Enrico übersetzt hatte, diesem etwas zu.
Dann nickte der Novize leicht. »Padre Fulvio möchte dabei sein«, sagte er.
»Meinetwegen!«, rief Leo. »Gehen wir?«
Der Weg zur Krankenstation war Leo vertraut. Aus der kleinen Apotheke drang ein scharfer Geruch. Orsino, der gerade dabei war, bräunliche Samen sorgfältig zu zermörsern, schaute auf und begann zu lächeln, als er Leo erblickte.
»Sei ritornato finalmente!« , rief er. »Mi sei mancato!«
»Er ist froh, dich endlich wiederzusehen«, übersetzte der Novize. »Er hat dich vermisst.«
»Und ich ihn erst! Bitte sag ihm das!« Leo spürte, wie seine innere Anspannung wuchs. »Wie war die Beerdigung von Fra Eligio?«, wollte er wissen. »Musste er noch sehr leiden?«
Orsino lachte dröhnend, was Leo befremdete. Wie konnte ihn der Tod eines Bruders derart belustigen? Der Riese musste sich sogar Lachtränen aus den Augen wischen, als er sich endlich wieder halbwegs beruhigt hatte.
»Keine Beerdigung«, übersetzte Enrico. »Denn Bruder Eligio weilt noch immer unter uns.«
»Aber er war doch sterbenskrank!«, stieß Leo hervor. »Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.«
»Das war er!«, bekräftigte der Infirmar. »Aber ich kenne mich mit Heilkräutern aus und habe ihm wohl das richtige
Gegenmittel verabreicht. Manchmal gefällt es dem Allmächtigen eben, kleine Wunder zu wirken. Bruder Eligio wird sich noch eine ganze Weile schonen müssen. Aber es hat den Anschein, als würde er wieder völlig gesund.«
Er stieß die Tür zur anliegenden Kammer auf, in die ihm Leo, Enrico und der Prior folgten. Fra Eligios Haut schimmerte weiß wie Schnee, doch seine Augen wirkten lebendig. Leo spürte, wie sein Nacken heftig zu prickeln begann.
Jetzt kam es auf die richtigen Fragen an!
»Du warst Beichtvater in San Damiano?«, begann er.
Eligio nickte.
»Lange?«
»Eine ganze Weile.«
»Hast du dort auch Suor Magdalena die Beichte abgenommen? «
Abermals Nicken, doch sichtlich zögernder.
»Was genau hat sie dir anvertraut?«
Den Lippen des Kranken entrang sich ein mühsamer Satz. »Du kennst das Beichtgeheimnis, Bruder. Dazu kann ich dir leider nichts sagen.«
»Doch, du kannst!« Die Schärfe in Leos Ton war nicht zu überhören. »Du musst sogar! Magdalena wurde heimtückisch ermordet – ebenso wie fünf fromme Brüder nach ihr. Wir brauchen endlich Klarheit. Sag uns, was du weißt, fratello ! Tu es um Francescos willen!«
Auf der Stirn Eligios standen feine Schweißperlen. »Sie hat vor einigen
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