Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
öffnete die Augen, als wollte er sich das Bild der Tochter für immer einprägen. Dann jedoch fiel sein Kopf zur Seite. Er hatte zu atmen aufgehört.
    Weinend sank Stella über ihm zusammen.

Zehn
    F ranziskus – wohin hast du mich geführt?«
    Die rauen Wände der Grotte hoch über Poggio Bustone schienen Leos Worte zu verschlucken, und plötzlich fühlte er sich noch einsamer als zuvor. Hier hatte der Heilige einst um Erleuchtung und Vergebung gebetet. Er jedoch spürte in sich nichts als Leere.
    Matteo und sein Begleiter saßen im Kerker von Rieti. Binnen Kurzem würde man ihnen den Prozess machen. Plötzlich schien auch der Bischof der Stadt ein gewisses Interesse aufzubringen. Er hatte sich in das Verfahren einschalten wollen, doch man hatte ihn offenbar von oberster Instanz zurückgepfiffen. Jetzt warteten alle auf die päpstliche Kommission aus Rom, die jeden Tag eintreffen musste. Ein persönliches Schreiben Johannes von Parmas, von einem Eilboten überbracht, hatte Leo davon unterrichtet, und er wusste nun, was der Generalminister der Franziskaner von ihm erwartete. Soweit es in seinen Möglichkeiten stand, war er dazu bereit. Und noch etwas anderes war eindeutig diesen knappen Zeilen zu entnehmen: Die Kurie schien zur lückenlosen Aufdeckung der Verbrechen entschlossen.
    Aber wurden dadurch die ermordeten Einsiedler des heiligen Tals wieder lebendig? Konnte Bruder Giorgio von den Toten auferstehen?

    Der ehemalige Abt des Sacro Convento war in jener Nacht, in der man ihn festgenommen und abgeführt hatte, auch nach außen hin zum Rasenden geworden, ein Gefangener, dem man Eisenfesseln anlegen musste, weil er sonst womöglich sich selbst und andere gefährdet hätte. Kein Wort der Reue über die begangenen Taten – ganz im Gegenteil!
    Bei allen bisherigen Verhören hatte er sich regelrecht mit seinen Untaten gebrüstet. Er nannte sich Retter des Ordens, schrie heraus, dass er und kein anderer dazu auserwählt sei, in einer Vita das wahre Bild Francescos zu zeichnen und für die Nachwelt zu bewahren.
    »Ich bin die Hand, die alles niederschreibt, sozusagen der Zwilling des Fra Elias von Cortona, der für den prachtvollen Bau von San Francesco verantwortlich ist. Was er in Stein geschaffen hat, werde ich auf Pergament vollbringen. Meine Aufzeichnungen stehen an Tiefe und Wahrhaftigkeit den biblischen Psalmen in nichts nach. Eines nicht allzu fernen Tages werdet ihr mich als Heiligen verehren.« Schaum war vor seinem Mund gestanden, während er die Augen verdrehte, bis nur noch das Weiße zu sehen gewesen war. »Schlagt mich! Quält und foltert mich! Wie unzählige Märtyrer vor mir werde ich standhaft bleiben und mein Leben dem Göttlichen opfern.«
    Sein Begleiter in der Nebenzelle dagegen war stumm geblieben. Man hatte ihn endlosen Vernehmungen ausgesetzt, ihm die Folterwerkzeuge gezeigt, ihn sogar auf die Streckbank geflochten – alles vergeblich. Seine Lippen waren selbst unter Qualen verschlossen geblieben, als hätte in der Tat einst ein scharfes Messer seine Zunge abgetrennt.
    »Du hast uns Frieden gelehrt, Franziskus, sowie die Liebe zu den Menschen und zu allen anderen Geschöpfen«,
fuhr Leo nun halblaut in der Grotte fort. »Und doch hatte ich mehr als einmal einen Dolch in der Hand, bereit zu töten – ich, ein Mönch, der seit langen Jahren die Kutte deines Ordens trägt! Wie weit habe ich mich bereits von dir entfernt! Wärst du trotz allem bereit, mich wieder in deine Arme zu schließen, geliebter Vater?«
    Alles blieb still. Leo überkam das Gefühl, die Finsternis würde ihn durchdringen. Weil mit Stellas Abreise auch das Licht aus seinem Leben verschwunden war?
    Nach der Beisetzung Lorenzos nahe dem Kirchlein von Poggio Bustone war Stella wie verwandelt gewesen. Kein Beharren mehr darauf, dass sie unbedingt bei ihm bleiben wolle, nein, der Wunsch, so rasch wie möglich zurück nach Assisi zu reisen, war zu seinem Erstaunen aus ihrem eigenen Mund gekommen.
    »Ich muss meine Angelegenheiten in Ordnung bringen. « Plötzlich war Stella ihm sehr erwachsen erschienen. Sogar ihre Stimme hatte einen neuen, tieferen Klang. »Etwas, das ich nicht länger aufschieben kann.«
    »Was hast du vor?«, hatte Leo gefragt. Wie gern hätte er sie berührt, sie an sich gezogen und geküsst, doch er wagte es nicht. Stocksteif war er dagestanden, innerlich und äußerlich erstarrt.
    »Das weiß ich noch nicht genau. Aber immerhin weiß ich wenigstens, wohin ich gehen werde. Alles andere wird sich finden.«

Weitere Kostenlose Bücher