Braut von Assisi
Gekommen war es jedenfalls aus der Tiefe seiner Seele.
»Bring die Frau in die Hütte!« Matteos Miene war undurchdringlich. »Sie bedeutet ihm nichts. Das soll sie nun zu spüren bekommen.«
Stella versuchte sich zu wehren, doch der Griff des Mannes war unerbittlich. Er schleifte sie hinaus, als sei sie nicht mehr als ein Strohbündel.
»Das wirst du büßen!«, schrie Leo Matteo ins Gesicht, der ihm den Weg verstellte.
»Der Nächste, der hier zu büßen hat, bist du, Bruder«, erwiderte der Abt. »Wogegen wehrst du dich? Du weißt doch längst, dass du verloren hast. Also, worauf wartest du? Willst du sie wirklich brennen sehen?«
Das Messer unter der Kutte! Doch wie sollte er es unbemerkt herausziehen? Leo bückte sich blitzschnell, aber als er wieder nach oben kam, spürte er die scharfe Klinge an seinem Hals.
»Gehen wir!«, sagte Matteo. »Los!«
Draußen roch es verbrannt, und all die Geräusche der Nacht waren verstummt, als hielte das Dunkel wie ein Lebewesen den Atem an. Die Klinge am Hals trieb Leo
bergauf, während er fieberhaft nachdachte. Ein Stoß? Ein Hieb in die Seite? Doch was würde dann mit Stella geschehen?
Plötzlich sah er Lorenzo seitlich vom Weg auf dem Boden liegen, als sei er den Hang ein Stück heruntergerutscht. Ein Pfeil steckte in seiner Brust. Sie hatten auch ihn hingerichtet!
Doch dann erstarrte Leo. Täuschte er sich, oder hatte der Eremit sich nicht gerade leicht bewegt? Der Gedanke schenkte Leo neue Kraft.
»Weiter!« Die Klinge ritzte seine Haut. »Du wirst doch ihren Tod nicht versäumen wollen!«
Vor der Hütte, in die sie Stella gesperrt hatten, angekommen, hörte Leo sie erbärmlich schreien und weinen. Mit ihren Fäusten schien sie gegen das Holz zu hämmern.
»No, il fuoco no!« , schrie sie. »Kein Feuer – bitte, bitte, alles nur kein Feuer!«
Matteos Begleiter hielt eine brennende Fackel in der Hand, die er gefährlich nah an die Hüttentür brachte. Sein Bogen schien im Lichtschein zu glühen.
»Also?«, fragte Matteo.
»Stella ist Lorenzos Tochter«, schrie Leo verzweifelt. »Und Suor Magdalena aus San Damiano war ihre Mutter! Weißt du nun endlich genug?«
Der Abt begann zu lachen. »Du ahnungsloser Tor! Das alles war uns schon seit Langem bekannt. Wen scheren schon die fleischlichen Anfechtungen zweier Niemande? Unzählige Mönche und Nonnen haben miteinander Unzucht getrieben. Das ist ärgerlich, doch darum muss man wahrlich kein großes Aufheben machen. Mir geht es um etwas ganz anderes: um das Heilige, das Große, das reine Erbe!« Seine Stimme wurde schrill. »Die Pergamente – zum allerletzten Mal!«
Leo schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, beharrte er und lauschte in das Dunkel. Hörte er nicht auf einmal das Geräusch von Pferdehufen, die rasch näher kamen, oder war es nur seine Fantasie, die ihm einen Streich spielte?
»Du sträubst dich also? Wie schade für dich! Denn all die anderen, die sich ähnlich uneinsichtig zeigten, sind tot«, zischte Matteo. »Es war ganz leicht, wenn man wusste, wie man es anstellen sollte. Die Karte hat euch geführt. Wie Insekten auf einer Honigspur seid ihr mir gefolgt, von einem frommen Bruder zum anderen. Dieses Mal wird unser Spiel noch leichter sein. Denn die braven Bürger von Rieti werden denken, ihr beide wäret die Mörder von Lorenzo gewesen – genauso wie bei Sebastiano, Stefano und Andrea. Stets waren die letzten Besucher der Mönch und seine verderbte Metze gewesen, die zum Glück rechtzeitig vom Schicksal gerichtet wurden.«
»Du wirst Stella nicht töten«, sagte Leo. »Lass sie sofort frei!«
Matteos Lachen klang gespenstisch, und nun lachte auch sein Begleiter, der bislang stumm geblieben war.
»Sie wird brennen – und all das Böse ihrer Zeugung und Geburt zusammen mit ihr. Feuer reinigt. Feuer heiligt. Francescos Worte konnten glühen wie ein Flammenmeer, weißt du das? Nein, das weißt du nicht, denn du hast ihn ja niemals reden hören. Unser Retter ist tot, das Vorbild und die Leitfigur der ganzen Christenheit. Doch ich werde seinem Angedenken die Kraft und Reinheit zurückgeben, die es verdient.« Er wandte sich an seinen Begleiter. »Feuer, Bruder! Es werde endlich vollbracht …«
»Leo!« Stellas Schrei, der aus der Hütte drang, war so herzzerreißend, dass ihm übel wurde. Wut stieg in ihm hoch, gleißend und hell, bis nichts anderes mehr in ihm
übrig blieb. Genauso hatte er sich gefühlt, als sein Gefährte Andreas vor seinen Augen getötet wurde.
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