Braut von Assisi
Doch dieses Mal lähmte die Wut ihn nicht wie damals beim heimtückischen Überfall in den Bergen, sondern sie verlieh ihm ungeahnte Kräfte.
Leo senkte den Kopf und rammte ihn wie ein Stier in den Brustkorb seines Gegners. Matteo heulte wölfisch auf und ließ dabei den Dolch fallen. Zwar fasste er sich schnell wieder und wollte Leo mit beiden Händen an die Gurgel, doch der war schneller. Instinktiv hob er sein Knie und stieß es Matteo mit voller Wucht in den Unterleib. Der Abt gab einen seltsamen Ton von sich, griff sich in den Schritt, taumelte und schien plötzlich wie blind.
Endlich Gelegenheit für Leo, in die Kutte zu greifen und seinen Dolch herauszuziehen.
»Fackel weg!«, schrie er den Begleiter an. »Lass Stella heraus!«
Der glotzte ihn verständnislos an.
»Lasciala uscire!« Leo schrie noch lauter. »Lass sie raus!«
»Das wird er nicht tun.« Der Abt schien sich erholt zu haben, sein Gesicht jedoch glich einer wächsernen Maske. »Er ist gewohnt zu gehorchen ….«
Er konnte nicht ausreden, denn plötzlich waren sie von Menschen umringt, Männern, die Sensen und Mistgabeln schwangen, anderen, die Knüppel und Messer in Händen hielten.
»Siete venuti in tempo!« , schrie Matteo. »Ecco l’assassino dei fratelli Sebastiano, Stefano, Andrea e Lorenzo!«
Die Menge drängte näher. Stellas Wächter hatte seine Fackel sinken lassen und schien abzuwarten, was als Nächstes geschehen mochte. Plötzlich sprang die Hüttentür auf, und Stella stolperte heraus. Ihr Gesicht war rußig, ebenso ihr Kleid. Aber ihre Angst war verschwunden. Jetzt
schien sie von innen heraus zu glühen, so aufgebracht war sie.
»Er lügt!«, schrie sie. » Questo monaco mente! Lui e il suo compagno sono gli assassini . Diese beiden Männer hier sind die Mörder der Einsiedler!«
Pino und sein Bruder traten aus dem Dunkel, dieses Mal offenbar nicht die Anführer und doch bereit zu handeln. Beide begannen heftig auf Stella einzureden, die nicht minder heftig antwortete. Als sie jedoch einen bestimmten Satz gesagt hatte, wurde es plötzlich gespenstisch ruhig. Jetzt starrten alle auf den Abt und seinen Begleiter, und die Mienen verrieten nichts Gutes. Dann setzte die Menge sich langsam in Bewegung, bis die beiden von einem Wall aus Körpern gefangen waren.
»Was hast du gesagt?«, flüsterte Leo, als Stella endlich zu ihm durchgeschlüpft war.
»Dass Lorenzo durch einen Pfeil getötet wurde. Und es hier ganz offensichtlich nur einen einzigen Mann gibt, der Pfeil und Bogen trägt.« Sie schaute hinüber. »Sie haben ihnen die Waffen abgenommen und sie gefesselt. Man wird die beiden nach Rieti bringen, einsperren und so lange verhören, bis die ganze Wahrheit ans Licht gekommen ist.«
Sie sah plötzlich so erschöpft aus, dass Leos Herz vor Mitgefühl schier überfloss.
»Eine Bitte noch, Leo«, hörte er sie flüstern. »Bring mich zu ihm! Zu meinem Vater. Tust du das für mich?«
Lorenzo atmete noch ganz flach, doch er war dem Tod näher als dem Leben, das verriet sein Gesicht im flackernden Licht der Fackel, die Leo über ihn hielt. Er hatte erschreckend
viel Blut verloren; die Lache um ihn wurde immer größer.
»Kannst du den Pfeil nicht herausziehen?« Stellas Stimme bebte. »Siehst du denn nicht, dass alles Leben aus ihm herausfließt?«
»Man müsste ihn wohl eher mit dem Messer herausschneiden«, erwiderte Leo. »Aber ich bin kein Medicus und besitze nicht die geringste Erfahrung darin. Könnte sein, dass wir ihn damit nur noch mehr verletzen.«
Lorenzo bewegte sich unruhig und schien etwas sagen zu wollen, doch seine Stimme gehorchte ihm nicht mehr. Mit letzter Kraft hob er seinen linken Arm ein Stück vom Boden und schien auf seine Brust deuten zu wollen.
»Er leidet!«, rief Stella und begann zu weinen. »Wir müssen ihm helfen! So tu doch irgendetwas!«
Leo beugte sich tiefer über Lorenzo. Wurde dessen Bewegung nicht stärker? Wohin deutete er?
Plötzlich begriff Leo. Jetzt erst fiel ihm die dünne Lederschnur um Lorenzos Hals auf. Auch der Eremit trug einen Beutel wie er.
Unter Lorenzos Kutte zu fassen, erschien Leo wie ein Sakrileg, so durchtrennte er die Lederschnur mit seinem Messer und zog den Beutel behutsam heraus.
Jetzt schien der Einsiedler plötzlich ruhiger.
»Vater!« Stella streichelte die eingefallenen Wangen Lorenzos, die hohe Stirn, die dunklen, von wenigen Silberfäden durchzogenen Haare. »Bitte geh nicht – lass mich nicht allein!«
Noch einmal bäumte der Eremit sich auf und
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