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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Pfeil« auf Italienisch? Sosehr er auch in seinem Gedächtnis kramte, es wollte ihm einfach nicht einfallen.
    Mit ihren großen graugrünen Augen sah die Dunkle ihn an, ein vorsichtiger, bedachter Blick, der ihn durchdrang. Sie musste ihn für einen Wahnsinnigen halten. Ein fremder Mönch, der sich schweigend auf sie stürzte und dann nur noch wie ein Idiot herumstotterte.
    Doch nicht sie hatte geschrien, sondern die Blonde. Plötzlich war es ihm sehr wichtig, dass sie begriff, warum er so gehandelt hatte.
    Er bückte sich, packte einen Pfeil und hob ihn auf.
    »Una freccia!« , sagte die Blonde erstaunt.
    »Molte frecce« , widersprach Leo. »Uno, duo, tre …« Er hielt inne und deutete nach oben. Jetzt auch noch zu beschreiben, dass er irgendwo hinter den Läden den Schützen vermutete, überstieg seine sprachlichen Möglichkeiten bei Weitem.
    Die Dunkelhaarige musterte ihn noch immer unverwandt, und jetzt war ihr Blick warm. »Ihr seid nicht von hier, padre ?«, sagte sie. »Ich kann es hören.«
    Sie verstand seine Sprache! Erleichterung durchrieselte Leo. »Wir sollten hier nicht stehen bleiben«, sagte er. »Lasst uns zurück in die Kirche gehen, da sind wir sicher.«
    Die jungen Frauen folgten ihm.
    »Das Geräusch hat mich aufmerksam gemacht, dann erst hab ich die Pfeile gesehen. Es war beinahe, als hätte der Schütze sich zunächst einschießen wollen. Bis schließlich Ihr die Kirche verlassen habt. Da hatte er sein Ziel gefunden.«

    Die Blonde stieß ein Stakkato italienischer Sätze hervor, von denen er so gut wie keinen verstand.
    »Meine Schwester meint, das muss ganz sicher ein Irrtum sein«, sagte die Dunkle. »Wir sind hier geboren. Jeder in der Stadt mag uns. Wir haben keine Feinde in Assisi – weder sie noch ich.«
    »Und doch hätte dieser letzte Pfeil Euch mit Sicherheit getroffen und vermutlich getötet«, sagte Leo. »Der Schütze hat perfekt gezielt. Glaubt mir, damit kenne ich mich aus!« Nachdenklich wog er den Pfeil in seiner Hand.
    Jetzt las er leise Skepsis in ihrem Blick, der seiner Kutte galt.
    »Ich war nicht immer Mönch«, sagte er und spürte, wie ihm erneut heiß dabei wurde.
    »Dann habt Ihr mir wohl gerade das Leben gerettet.« Sie sprach langsam und fehlerfrei, und doch glaubte er wie bei Suor Regula etwas von dem kehligen Tonfall seiner Mutter zu hören. »Und ich bin Euch zu tiefem Dank verpflichtet. «
    Verlegen zuckte Leo die Achseln. »Hat das Gotteshaus einen Seitenausgang?«, fragte er.
    Die Dunkle nickte.
    »So nehmt besser den, und seid bitte sehr vorsichtig beim Nachhausgehen! Ich könnte Euch begleiten, falls Ihr das wünscht.«
    Plötzlich musste er an den Dolch in der Satteltasche denken, der eigentlich auf dem Grund des Sees liegen sollte. Ob er doch noch einmal Verwendung dafür haben würde?
    Die beiden verhandelten kurz miteinander, dann wandte die Dunkle sich erneut an ihn.
    »Das schaffen wir allein. Ihr habt schon mehr als genug für uns getan«, sagte sie. »Ihr wollt bestimmt zurück zum Kloster. Es ist nicht weit von hier.«

    In einer seltsamen Mischung von Erleichterung und Enttäuschung nickte Leo.
    »Arrivederci« , sagte die Blonde. »E grazie mille.« Dann zog sie die Dunkle mit sich zum Seitenausgang.
    Als Leo kurz darauf San Rufino verließ, den Pfeil noch immer in der Hand, war der Vorplatz nach wie vor menschenleer. Abermals schaute er zu den Fensterläden hinauf, die abweisend und geschlossen blieben und ihr Geheimnis nicht preisgaben.
    Plötzlich ging er schneller. Was, wenn der Schütze nun auf ihn lauerte, weil er seine hinterlistigen Pläne durchkreuzt hatte? Etwas Eisiges rieselte seinen Rücken hinunter.
    Der Tod seines Gefährten unterwegs war schon schwer genug zu verkraften gewesen. Inzwischen hatte er sein Ziel erreicht – und war als Erstes vom Pferd gefallen, um kurz danach eine tote Nonne vorzufinden, offenbar gestorben unter denkbar merkwürdigen Umständen. Und jetzt auch noch dieser mysteriöse Pfeilschütze!
    Er brauchte Zeit, um nachzudenken, Zeit, um den Knoten wieder loszuwerden, der ihm den Magen zuschnürte. Zeit, um endlich diese lästigen Kopfschmerzen loszuwerden, die ihn quälten.
    Leo beschloss, wenigstens für eine Nacht in der kleinen Herberge zu bleiben, in der er sein Pferd untergebracht hatte.
    Doch in dem geduckten Haus mit dem Torbogen fand er keine Ruhe. Die Wirtsstube war niedrig und überfüllt; es roch nach fettigem Essen und billigem Fusel, und manche der Zecher schien die Anwesenheit eines fremden

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